Full text: Die Haftpflicht der Eisenbahn-, Bergbau- und Fabrik-Unternehmer

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nicht nur beschränkter in der Präsumtion des Verschuldens hin 
sichtlich der Personen (subjective» Thatbestandes), sondern auch 
b. hinsichtlich des objectiven Thatbestandes, der 
Thatsachen des Verschuldens. 
Ein Unfall auf den Eisenbahnen ist von diesen zu ver 
treten, gleichviel, durch Wen und wie er verschuldet ist, ob 
durch Uebertretung der Betriebs-Ordnung oder von Polizei- 
vorschriften oder nicht durch solche Contravention. 
Der Bergwerks- rc. Betreiber haftet dagegen nur für ein 
Verschulden „in Ausführung der Dienstvorschriften", 
welche die Bevollmächtigten, Repräsentanten, Leiter, Beaufsich- 
tiger für ihre Funktion erhalten haben. Die Ausführung 
von Dienstvorschriften und das bezügliche Verschulden kann po 
sitiv und negativ, Handlung oder Unterlassung sein, aber immer 
bildet der Functionskreis des Verschuldenden auch den Kreis 
der Haftpflicht seines Principals. Wenn ein Dritter sich die 
Function anmaßt, ohne Auftrag, kann er auch den Berg 
werks- rc. Betreiber nicht haftpflichtig machen, denn der Dritte 
handelt eben nicht als Functionär, hat weder Dienst noch 
Dienstvorschriften. Dagegen verpflichtet jeder der in § 2 ge 
nannten Functionäre seinen Principal, auch wenn er sich andre 
Functionen anmaßt, über seine Dienstvorschriften hinausgeht 
oder hinter denselben zurückbleibt, gleichviel ob die schuldbare 
Handlung oder Unterlassung zu seinem Functionskreise gehört. 
Letzterer bildet eben immer nur die Grenze des Zuviel oder 
Zuwenig in Ausführung der Dienstvorschriften. 
Die Haftpflicht nach § 2 ist ferner noch beschränkt durch 
e. die Beweis last. — Nach § 1 liegt dem Beschädigten 
nur der Beweis der Thatsache der Beschädigung, nicht auch der 
Verschuldung gegen die Bahnbetriebs-Unternehmer ob. Die 
Verschuldung des letzter» wird präsumirt bis zum Gegenbe 
weise der „höheren Gewalt" oder des „eigenen Verschuldens" 
des Beschädigten. 
In ß 2 dagegen fehlt die gesetzliche Zulassung der Schuld- 
Präsumtion gegen den Bergwerks- rc. Betreiber. Der Be 
schädigte hat nicht nur die Thatsache seiner Beschädigung, 
sondern auch die Thatsache des Verschuldens bei Ausführung 
von Dienstvorschriften zu beweisen. Wo der letztere Beweis 
fehlt, tritt auch die Haftpflicht des Bergwerks- rc. Betreibers 
nicht ein. 
Bei den legislatorischen Verhandlungen sind verschiedene 
Versuche gemacht, die Präsumtion des Verschuldens gegen den 
Bergwerks- rc. Betreiber in das Gesetz einzuführen, doch sind 
alle bezüglichen Anträge und Ansichten nicht durchgedrungen, 
namentlich auch nicht der Antrag:*) 
„Der Betriebs-Unternehmer haftet ferner, wenn er nicht 
beweist, daß diejenigen Vorkehrungen getroffen waren, welche 
bei der Einrichtung und dem Betriebe zur Abwendung eines 
solchen Unfalles erforderlich sind". 
8. In Oesterreich besteht eine Haftpflicht, wie sie in 
Deutschland durch obigen § 2 gesetzlich geworden, rechtlich noch 
nicht. Doch hat das dortige Ackerbau-Ministerium die ihm 
") Vergl. Drucks. Nr. 65 die Anträge von Lasker und Gen. unter 
Nr. 2. und Stenogr. Ber. S. 166. 
S. auch Dr. Endemann: „Die Haftpflicht re." S. 33., wo der 
oben angeführte Antrag mit einem Druckfehler, nämlich mit „aus" 
anstatt „und dem Betriebe" wiedergegeben ist. — Hr. Dr. Endemann 
läßt hier die Annahme eines Verschuldens des Betriebs-Unternehmers durch 
Unterlassung bezüglich der nöthigen oder betriebsmäßigen Vorkehrungen rc. 
zu. Eine gesetzliche Präsumtion wäre jedoch diese Annahme keineswegs, 
vielmehr läge der Beweis des Verschuldens immer dem Beschädigten ob. 
Daß der Betriebs-Unternehmer selbst durch eigenes Verschulden haftpflichtig 
für Unfälle werden kann, ist ja übrigens schön nach allgemeinen Rechts 
regeln selbstverständlich. DaS wesentliche Moment bleibt immer, daß eine 
Präsumtion solches Verschulden nirgends im Gesetze statuirt worden ist. 
untergebenen Berghauptnramrschasten aufgefordert, mit Zu 
grundelegung allfättiger geeigneter Einvernehmungen in Er 
wägung zu ziehen und zu beachten, ob es sich empfehlen lasse, 
auch bezüglich der Haftbarkeit bei dem Bergbau, bei Stein 
brüchen oder Gräbereien auf Sand, Lehm u. s. w. ein ähn 
liches Gesetz vorzubereiten, wie das beigefügte deutsche Gesetz 
vom 7. Juni 1871?"») 
In dem urtheilssähigsten Organe der Fachwissenschaft in 
Oesterreich, der „Oesterr. Zeitschrift für Berg- und Hütten 
wesen" (1871 Nr. 48), spricht Hr. Dr. O. Frh. v. Hingenau, 
eine berühmte Autorität auch der Praxis des Bergbaus, vor 
läufig aus, daß er „nicht absolut gegen ein Haftpflichtgesetz 
sei, werde man schon aus der Einleitung der von ihm im ge 
nannten Organe gebrachten Mittheilungen über das deutsche 
Gesetz erkennen; aber die Schwierigkeit liege in einer 
klaren und gerechten Fassung desselben". — 
Diese Schwierigkeit ist vom deutschen Gesetze allerdings 
nicht überwunden. — 
Das österreichische Gesetzprojcct erstreckt sich auch auf 
Fabriken rc. und sind die dortigen Handels- und Gewerbe- 
kammern zu gutachtlicher Aeußerung aufgefordert. Auch diese 
haben sich im Allgemeinen nicht gegen das Project, jedoch 
zugleich die Bitte ausgesprochen, daß ihnen der bezügliche Ge 
setz-Entwurf, bevor er der legislativen unterzogen wird, zur 
Begutachtung zugewiesen werde". — 
Auch in Deutschland ist seiner Zeit diese Bitte von allen 
berufenen Organen der Interessentenkreise des Bergbaus und 
der Industrie ausgesprochen, doch nur sehr spärlich beachtet 
worden, was offenbar dem Gesetze vom 7. Juni 1871 nach 
theilig gewesen ist. — 
9. In Belgien ist von dem Tribunal zu Brüssel kürzlich 
ein Präjudiz abgegeben, das die Haftpflicht eines Betriebs- 
Unternehmers ganz allgemein proclamirt. In dem Falle einer 
Dampfkessel-Explosion, bei welcher Arbeiter-Familien in Schaden 
gekommen waren, hat das Tribunal entschieden,**) daß ein 
Hütten-Besitzer (un propriétaire d' usine) für den in seinem 
Etablissement durch Maschinen verursachten Schaden hafte, auch 
ohne Nachweis des geringsten Fehlers oder leichtesten Ver 
sehens in seinem Betriebe (dans sou chef), selbst wenn der 
Unfall durch Fehlerhaftigkeit des Materials herbeigeführt wäre; 
den Haftpflichtigen befreie nur der Beweis der Unmöglichkeit 
der Verhütung des Unfalls, der höheren Gewalt" (force ma 
jeure) oder „äußeren Zufalls" (cas fortuit). 
10. Keine Bestimmung des Haftpflichtgesctzes hat in den 
urtheilsfähigen Interessentenkreisen und in der Fachpresse mehr 
Kritik und Verwerfung erfahren, als der vorliegende § 2.***) 
*) Vergl. „Oesterreichischc Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen". 
1871. Nr. 46. 48. 50. 
**) Vergl. Moniteur des intérêts matériels. 1871. p. 386. Jurispendence. 
"") Die Kritik im Allgemeinen zusammenfassend werden folgende 
Druckschriften angezogen: 
Ueber den Entwurf eines Reichsgesetzes betr. die Haftpflicht rc. Aus 
Baiern, 10. April. - (Berggeist. 1871. S. 177 ff.) 
Bemerkungen zum Entwurf des Gesetzes, betr. die Verbmdückkett 
zum Schadenersatz rc. Von einem baierischen Bergbeamten (a. a. O. S. 191 f.) 
Die Unternehmer-Haftpflicht. (Aus Lugau im Kgr. Sachsen abge 
sandter Protest verschiedener Steinkohlenwerke (a. a O. S. 204). 
Petition mit Denkschrift an den hohen Reichstag rc. rc. von 554 
Interessenten aus Preußen, Baiern, Sachsen, Sachsen-Meiningen, Nassau rc. 
(im Auszuge commentirt von Rich. v. Swaine, Mitgl. des Reichstags, 
mitgetheilt a. a. O. Ş. 187 s.) — 
Als „eine beachtenswerthe Darstellung in Betreff der legislat. Be 
handlung des Bergbaues" wird in Dr. Endemann's Commentar Ş. 6 
angeführt die Dissertation: „A. Frantz, die Haftbarkeit und Entschädi 
gungspflicht bei den Verunglückungen ' des Bergbaues. Jena 1869", — 
(veröffentlicht in: „Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik rc. von 
B. Hildebrand". 1870. Bd. I. S. 36—77).
	        
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