Full text: Die Haftpflicht der Eisenbahn-, Bergbau- und Fabrik-Unternehmer

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getroffenen Maßnahmen zur Erledigung ihrer Haftpflicht (s. o. 
§ 4 Zus. 2) sich nicht auf Personen beziehen, welche „in 
der Ausübung deö EifeubahubetriebsdienfteS be 
griffen" sind. 
§ 6. Das Gericht hat über die Wahrheit der thatsächlichen 
Behauptungen unter Berücksichtigung des gesummten Inhaltes 
der Verhandlungen nach freier Ueberzeugung zu entscheiden. 
Die Vorschriften der Landesgesetze über den Beweis durch 
Eid, sowie über die Beweiskraft öffentlicher Urkunden und ge 
richtlicher Geständnisse bleiben unberührt. 
Ob einer Partei über die Wahrheit oder Unwahrheit einer 
thatsächlichen Behauptung noch ein Eid aufzulegen, sowie ob 
und in wieweit über die Höhe des Schadens eine beantragte 
Beweisaufnahme anzuordnen oder Sachverständige mit ihrem 
Gutachten zu hören, bleibt dem Ermessen des Gerichtes 
überlassen. 
1. Dem wesentlichen Inhalte nach war dieser § 6 des 
Gesetzes schon in § 5 des Regierungs - Entw. enthalten. So 
weit die Uebereinstimmung reicht, sind die „Mot." noch jetzt 
an erster Stelle zu beachten. Es heißt in denselben: 
„In dem überwiegend größeren Theile des Bundesgebiets 
bestehen für den bürgerlichen Proceß noch positive Regeln über 
die Wirkung der Beweise. Die Anwendung dieser Regeln 
auf die hier in Rede stehenden Rechtsstreitigkeiten würde bei der 
Schwierigkeit eines formell ausreichenden Beweises, insbeson 
dere hinsichtlich der Verschuldung (§ 2 des Entwurfs) und für 
die Höhe des Schadens, die Wirksamkeit des Gesetzes beein 
trächtigen und vielfach gänzlich lähmen. Die Ueberzeugung, 
daß auch in Civilprocessen dem Richter eine freie Würdigung 
der Thatsache zustehen müsse, ist gegenwärtig fast ausnahms 
los zur Herrschaft gelaugt, und in den bedeutenden, in den 
letzten Jahren in Deutschland zur Umgestaltung des bürger 
lichen Verfahrens unternommenen gesetzgeberischen Arbeiten überall 
zum Ausdruck gebracht (vergl. § 42 Í Preuß. Eutw. v. 1864, 
§§ 306, 307. Hanuov. Entw., §§ 455, 457. Norddeutschen 
Entw., Art. 345, 330 der Civil-Proe.-Ordn. für Baiern 
u. a. m.). Ungeachtet der hinsichtlich des Vortrags des that 
sächlichen Materials und des Beweisvcrsahrens, fast ausschließ 
lich schriftlichen Natur des Preußischen Civilprocesses, hat die 
in einzelnen Preußischen Specialgesetzen deut Richter anheim 
gegebene freie Würdigung der Thatsachen in der Anwendung 
sich ebenfalls überall bewährt (vergl. §§ 111, 375 ff. der 
Konkurs - Ordnung vom 8. Mai 1855, § 17 des Gesetzes vom 
9. Mai 1855). Aus der überwiegend schriftlichen Natur deö 
in den meisten Bundesstaaten wenigstens zur Zeit noch gel 
tenden Civilprocesses wird daher kein maßgebender Einwand 
gegen den Inhalt des Entwurfes hergeleitet werden können. 
Die einzelnen, in den ersten beiden Absätzen des § 5 des Ent 
wurfes enthaltenen Bestimmungen fassen im Wesentlichen den 
Inhalt der §§ 455, 457 und 633 des Norddeutschen Civil- 
Proceß-Entwurfs zusammen. Hinsichtlich des Beweises durch 
Eid, sowie der Beweiskraft öffentlicher Urkunden und gericht 
licher Geständnisse war es bei den Vorschriften der Landesgesetze 
zu belassen. Von der Zulassung eines besonderen Gerichts 
standes etwa in der Weise, wie der § 64 des Norddeutschen 
Entwurfs und der § 708 des bürgerlichen Gesetzbuchs für das 
Königreich Sachsen denselben für Forderungen aus unerlaubten 
Handlungen bestimmt, ist Abstand genommen. Als selbstver 
ständlich darf vorausgesetzt werden, daß der Richter bei Ab 
schätzung deö Schadens auch darauf werde Rücksicht zu 
nehmen haben, ob etwa dem Verletzten oder denHin- 
terbliebeuen desGetödteten, insbesondere aufGrund 
von Leistungen des Ersatzpflichtigen, Pensions 
oder sonstige Entschädigungs-Ansprüche zur Seite 
stehen. Nur die Schadloshaltung, nicht die Bereiche 
rung des Beschädigten kann das Gesetz im Auge haben. 
2. Die hier gegebenen Vorschriften erstrecken sich aus 
schließlich auf die Geltendmachung der in §§ 1 bis 3 bezeich 
neten Verschuldungen und dadurch begründeteu Haftpslichtan- 
sprüche, und zwar ausschließlich aus das dazu eingeleitete 
Civil-Proceßverfahren. Auf den Straf-Proceß behufs straf 
rechtlicher Verfolgung haben sie keine Beziehung. — 
Das Civil - Proceßverfahren ist an sich unberührt geblieben: 
so weit bestimmte Arten und Formen deffelben je nach dem 
Streitobjccte (Bagatell-, Mandats-, summarischer oder ordent 
licher Proceß) oder nach andern Umständen zu beobachten sind, 
gelten sie auch für die Haftpflicht-Ansprüche. Nur ist Auf 
nahme, Prüfung und Würdigung der Beweise über die that 
sächlichen Voraussetzungen der Anwendung des Haftpflichtgcsetzes 
befreit von allen Positiven und wissenschaftlichen Regeln der 
Beweistheorie, namentlich der Wirkung der Beweise, und 
dem freien Ermessen des Richters anheimgegeben; nur bezüglich 
der Beweiskraft der öffentlichen Urkunden und gericht 
lichen Geständnisse sowie bezüglich des Eides als Be 
weismittel ist er an die bestehenden Landesgesetze gewiesen. 
Im Uebrigen steht das ganze Verfahren unter seiner Leitung 
und Beurtheilung und seine Entscheidung ist der schließliche 
Ausdruck seiner richterlichen Ueberzeugung auf Grund des ge- 
sammten Inhalts der Verhandlungen. Die Function des Rich 
ters faßt also gewissermaßen den gelehrten Richter und den 
sachverständigen Geschwornen in eine Person zusammen, wie 
dies auch bei Injurien und minder strafbaren Gesetzverlctzungen 
der Fall ist. 
Anträge, welche dieser Zusammenfassung des Richters der 
That- (Schuld-) und der Rechtsfrage widersprachen, sind von 
den Antragstellern zurückgezogen worden.*) 
3. Wenn dem Richter in § 6 die Entscheidung „über die 
Wahrheit" der thatsächlichen Behauptungen übertragen ist, 
so ist natürlich die Entscheidung über die Unwahrheit ihm nicht 
entzogen worden. Im ursprünglichen Entwürfe war auch aus 
drücklich gesagt: „über die Wahrheit oder Unwahrheit u. s. 
w." Die Streichuug der beiden Worte bei der Schlußredaction 
des Gesetzes ist bedeutungslos, zumal dieselben im Alin. 3 des 
§ 6 stehen geblieben sind. 
4. Der Entwurf hatte hinter den Worten: „unter Berück 
sichtigung des gesummten Inhalts der Verhandlungen" noch 
den Zusatz: „sowie des Ergebnisses einer etwaigen Beweis 
aufnahme". Der Wegfall dieser Worte hat keineswegs die 
Bedeutung, daß dem Richter die Würdigung des Ergebnisses 
der Beweisaufnahme entzogen sein soll, vielmehr ist es bei der 
*) Es beantragte nämlich: ' 
1. Abg. Lasker: „Der Reichstag wolle beschließen, den Reichs 
kanzler aufzufordern, darauf Bedacht zu nehmen, daß die Deutsche Civil- 
Proceß-Ordnung für Streitigkeiten, welche nach den Proceßgrundsätzen 
dieses Gesetzes zu entscheiden sind, die Mitwirkung von Laien (Geschwore 
nen, Schöffen) anordne, namentlich soweit die Feststellung der Entschädi- 
gungöpflicht, die Höhe und die Art des Schadenersatzes in Betracht kommen". 
— Drucks. Nr. 76. I. 1. — Dieser Antrag wurde zurückgezogen. Bergt. 
Stm. 0cr. 6 653. 654). 
2. Abg. Biedermann: „Dre Zuziehung von Sachverständigen 
muß jedoch erfolgen, wenn eine der beiden Parteien es verlangt. In 
diesem Falle steht jeder Partei die Ernennung der gleichen Zahl von Sach 
verständigen, dem Gerichte die Bestellung eines Obmannes zu". — 
(Drucks. Nr. 71. III. 3. — Auch dieser Antrag wurde zurückgezogen. 
Bergt. Sten. Ber. S. 499). — 
Mit der Zurückziehung sind jedoch Ansichten und Tendenzen der An 
träge nicht aufgegeben worden, vielmehr ist jene nur erfolgt, um die an 
geregten Fragen der Zuziehung von Geschworenen, resp. Sachverständigen, 
der definitiven und allgemeinen Regelung und Entscheidung der neuen 
Civilproceß-Ordnung zu überlassen. (Sten. Ber. S. 494. 654).
	        
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