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Denken und Fühlen durch die Übereinstimmung der beeinflussenden
äußeren Umstünde einen Zug zur Gleichheit empfängt. Gleiche Wert
schätzungen, gleiche Ideale bilden sich aus. Sie erzeugt aber ferner
auch eine bestimmte Willensrichtung auf Wahrung des von der
Klasse vertretenen Standpunktes: ihrer ökonomischen Position nicht
minder als ihrer Werte; sie erzeugt das, was wir das Klassen
interesse nennen mögen.
Was also überall sich ungezwungen entwickelt, ist zunächst ein
Klassenunterschied, an ihn knüpft sich ein Klasseninteresse an. Die
Vertretung dieses Klasseninteresses führt nun überall dort, wo ihm
andere Interessen entgegenstehen, zum Klassengegensatz. Nicht immer
muß notwendig die Vertretung des eigenen Klassenstandpunktes mit
einem anderen Klasseninteresse kollidieren; gewiß kann zeitweise eine
Jnteressensolidarität entstehen, aber niemals wird diese Übereinstim
mung sich auf die Dauer erzielen lassen. Das Interesse des Junkers
muß an einem bestimmten Punkte mit dem des Bourgeois, das des
Kapitalisten mit dem des Proletariats, das der Handwerker und
Krämer mit dem des Großbürgertums usf. in Widerstreit treten;
denn jedes strebt naturgemäß nach Verallgemeinerung und schließt
damit andere Interessen aus. Dann gilt das Wort:
„Wo eines Platz nimmt, muß das andere rücken;
Wer nicht vertrieben sein will, muß vertreiben . . .
Da herrscht der Streit und nur die Stärke siegt "
Hier ist es, wo Meinungsverschiedenheiten auftauchen könnten:
muß es wirklich zum „Streit", zum „Kampfe" kommen? Ist nicht
zu hoffen, daß — etwa aus Menschenliebe, oder Mitleiden, oder
Anteilnahme am Gemeinwohl oder aus sonstigen edlen Motiven
heraus — soziale Klassen sich freiwillig ihrer Vorrechte, die anderen
im Wege sind, entäußern könnten? Natürlich: wissenschaftlich „be-