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Da die Entwicklung des Klassengegensatzes gleichen Schritt hält mit
der Entwicklung der Industrie, finden sie eben so wenig die materiellen
Bedingungen zur Befreiung des Proletariats vor, und suchen nach einer
sozialen Wissenschaft, nach sozialen Gesetzen, um diese Bedingungen zu
schaffen.
An die Stelle der gesellschaftlichen Thätigkeit muß ihre persönlich
erfinderische Thätigkeit treten, an die Stelle der geschichtlichen Beding
ungen der Befreiung phantastische, an die Stelle der allmälig vor sich
gehenden Organisation des Proletariats zur Klasse eine eigens aus
geheckte Organisation der Gesellschaft. Die kommende Weltgeschichte
löst sich für sie auf in die Propaganda und die praktische Ausführung
ihrer Gesellschaftspläne.
Sie sind sich zwar bewußt, in ihren Plänen hauptsächlich das Inter
esse der arbeitenden Klasse als der leidendsten Klaffe zu vertreten. Nur
unter diesem Gesichtspunkt der leidendsten Klasse existirt das Proletariat
für sie.
Die unentwickelte Form des Klassenkampfes, wie ihre eigene Lebens
lage bringen es aber mit sich, daß sie weit über jenen Klassengegensatz
erhaben zu sein glauben. Sie wollen die Lebenslage aller Gesellschafts
glieder , auch der bestgestellten, verbessern. Sie appelliren daher fort
während an die ganze Gesellschaft ohne Unterschied, ja vorzugsweise an
die herrschende Klasse. Man braucht ihr System ja nur zu verstehen,
um es als den bestmöglichen Plan der bestmöglichen Gesellschaft anzu
erkennen.
Sie verwerfen daher alle politische, namentlich alle revolutionäre
Aktion, sie wollen ihr Ziel auf friedlichem Wege erreichen und ver
suchen, durch kleine, natürlich fehlschlagende Experimente durch die Macht
des Beispiels dem neuen gesellschaftlichen Evangelium Bahn zu brechen.
Die phantastische Schilderung der zukünftigen Gesellschaft entspringt
in einer Zeit, wo das Proletariat noch höchst unentwickelt ist, also selbst
noch phantastisch seine eigene Stellung auffaßt, feinern ersten ahnungs
vollen Drängen nach einer allgemeinen Umgestaltung der Gesellschaft.
Die sozialen und kommunistischen Schriften bestehen aber auch aus
kritischen Elementen. Sie greifen alle Grundlagen der bestehenden Ge
sellschaft an. Sie haben daher höchst werthvolles Material zur Auf
klärung der Arbeiter geliefert. Ihre positiven Sätze über die zukünf
tige Gesellschaft, z. B. Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und
Land, der Familie, des Privaterwerbs, der Lohnarbeit, die Verkündigung
der gesellschaftlichen Harmonie, die Verwandlung des Staates in eine
bloße Verwaltung der Produktion — alle diese ihre Sätze drücken bloß
das Wegfallen des Klassengegensatzes aus, der eben erst sich zu ent
wickeln beginnt, den sie nur noch in seiner ersten gestaltlosen Unbe
stimmtheit kennen. Diese Sätze selbst haben daher noch einen rein
utopistischen Sinn.
Die Bedeutung des kritisch-utopistischen Sozialismus und Kommunis
mus steht im umgekehrten Verhältniß zur geschichtlichen Entwicklung.
In demselben Maaße, worin der Klassenkampf sich entwickelt und ge
staltet, verliert diese phantastische Erhebung über denselben, diese phan
tastische Bekämpfung desselben allen praktischen Werth, alle theoretische
Berechtigung. Waren daher die Urheber dieser Systeme auch in vieler
Beziehung revolutionär, so bilden ihre Schüler jedes Mal reaktionäre