Full text: Die Steigerung der Produktivität der deutschen Landwirtschaft im neunzehnten Jahrhundert

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Unter den vielen Äusserungen, welche ans den letzten Jahren zum 
Thema der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion vorliegen, ist 
besonders eine Auslassung M. Delbrücks viel bemerkt worden, der in 
wenigen Worten und noch weniger Ziffern den ganzen Fortschritt in der 
landwirtschaftlichen Entwickelung des vorigen Jahrhunderts darzustellen 
sucht. 1 ) Greifen wir nur diejenige Stelle heraus, welche für unsere Frage 
am meisten in Betracht kommt, so sagt D.: „Wenn man die Geschichte 
einzelner Gutswirtschaften heranzieht, so ist es kein Zweifel, dass die Er 
zeugung von Getreide auf dem Morgen sich in diesen 100 Jahren ver 
doppelt hat. Diese Verdoppelung ist nicht erzielt durch eine Vergrösserung 
der Anbaufläche, sondern durch verbesserte Kultur. Gewiss soll die Neu 
kultivierung von Grund und Boden, die Herbeiziehung der Moorkultur 
nicht gering angeschlagen werden, aber der eigentliche Erfolg liegt in den 
Verbesserungen der Kulturmethoden selbst. Zu dieser Mehrproduktion 
in Körnerfrüchten ist hinzuzureehnen die ganze Ernte unserer Hackfrüchte, 
wenigstens derjenigen, die die Hauptmasse ausmachen — der Kartoffeln 
und der Rüben. Der Anbau beider, noch im 18. Jahrhundert begonnen, ist 
doch ein ausschliesslicher Erfolg des neunzehnten. Ihr Anbau bis zur jetzigen 
gewaltigen Ausdehnung konnte ermöglicht werden ohne eine wesentliche 
Verringerung des Areals für Körnerhau, denn ihnen fielen zu die Flächen, 
welche durch die Überwindung der Brachwirtschaft frei wurden. Hierin 
liegt die ungeheure Bedeutung des Hackfruchtbaues, denn wenn man die 
Trockensubstanz, welche durch ihre Ernte dem Felde abgerungen wird, 
vergleicht mit der Menge des Stoffes, welche der Getreideanbau liefert, 
so sind die Summen fast gleich. Getreidebau und Hackfruchtbau liefern 
die gleiche Summe an Nährsubstanz. Hat die Körnerernte sich verdoppelt, 
wird binzugefügt der Hackfruchtbau, ein reiner Zuwachs und in der 
Substanzmenge der Körnerernte gleich, beide zusammen die Hauptmasse 
des Pflanzenbaues darstellend, so ist das Ergebnis: die landwirtschaftliche 
Produktion im Pflanzenbau hat sich im vergangenen Jahrhundert ver 
vierfacht.“ 
D. nimmt hier ganz allgemein an, dass sich die Erzeugung 
von Getreide auf dem Morgen in den letzten 100 Jahren verdoppelt hat, 
und beruft sich dafür auf die Geschichte einzelner Gutswirtschaften. Wir 
besitzen nicht viel derartige Einzeldarstellungen; wohl die meisten derselben 
(von 26 Gütern) hat bereits P. Wagner 2 ) in seiner Dissertation berück 
sichtigt und berechnet, dass die durchschnittliche Ertragssteigerung auf 
den verglichenen Gütern betrage: bei Weizen das 1,50fache, Roggen 
1,63, Winterung zusammen 1,57 fache, bei Gerste 1,64, Hafer 1,96, 
Sommerung zusammen 1,80 fache. Dieses Resultat weicht also nicht un 
erheblich von der D.sehen Annahme ab. Wenn ferner die Neukultivierung 
von Grund und Boden, die Herbeiziehung der Moorkultur nicht gering 
0 Die deutsche Landwirtschaft an der Jahrhundertwende. Festrede gehalten in 
der Königlichen Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin am 12. Januar 1900. Verlag 
von P. Parey in Berlin. 
-) Die Steigerung der Roherträge in der Landwirtschaft im Laufe des 19. Jahr 
hunderts. Jena 1896.
	        
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