Erster Teil.
Betrachtungen zum Kinderschuhgeseh.
I. War die Regelung der gewerbliche»: Ki»»dcrarbeit
notwendig^
„Wer die Geschichte der sozialpolitischen Gesetzgebung schreibt J )
wird den 10. April 1902 besonders hervorheben müssen. Dieser
Tag bildet nicht nur ein charakteristisches Merkmal für den Um
schwung in der Auffassung vom Staate, deren Niederschlag die
sozialpolitische Gesetzgebung ist, er ist ein Höhepunkt auf diesem
Wege. An diesem Datum wurde dem Reichstage ein Gesetzentwurf
über Kinderschutz vorgelegt, der die Kinder vor Ausbeutung und
Mißhandlung durch die eigenen Eltern schützt. Die häusliche er
werbsmäßige Kinderarbeit soll neben der gewerblichen in die Fabrik
schutzgesetzgebung einbezogen werden. Bis dahin hatte die sozial«
politische Gesetzgebung stets vor der Familie Halt gemacht. Jetzt
ist aber auch diese Tür geöffnet worden. War es nötig, diesen
Schritt von unabsehbarer Tragweite zu tun?"^)
Daß cs nötig war, leider nötig war, ergibt sich aus den
von dem Herrn Reichskanzler angestellten Ermittlungen, 8 ) aus den
Berichten der Gewcrbeinspektorcn, den Mitteilungen der Handels
kammern, einer Reihe städtischer statistischer Ämter, sowie aus dem
von der deutschen Lehrerschaft gesammelten Tatsachenmaterial, welches
den toten Zahlen der Statistik Leben einhauchte.
0 Daten der Entstehung des Kinderschutzgesetzes siehe Einl. zu Teil II.
a ) Schmoller, Jahrbuch f. Gesetzg. 1902 S. 338.
') Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reiches 1900. III.