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nationalen Leben und interessiert sich für alle
Unternehmen, die sein grosses und stolzes Eng
land noch mächtiger machen können.
Die ganze Frage der Jugendbewegung kommt
aber letzten Endes auf ein ganz anderes Problem
hinaus, auf eine einzige klare Entscheidung, die
gar keinen Kompromis duldet. Wir haben uns
zu fragen, ob wir dem sozialen Elend dadurch
beikommen wollen, dass wir dem Arbeiter die
Kinderbeschränkung propagieren, und es dadurch
erreichen, dass der Arbeiter mit seinem Ein
kommen zwei Kinder anständig erziehen und gut
ernähren kann, oder ob wir die nationale Pflicht
propagieren, unser Vaterland stark zu machen
und stark zu erhalten durch eine möglichst grosse
Zahl kräftiger Arme und gesunder Körper.
Wählen wir das letzte Ziel, dann müssen wir es
als unsere heiligste Pflicht anerkennen, für alle
Kinder so zu sorgen, dass kein Kind unseres
Landes Hunger zu leiden oder zu frieren braucht,
dass es von der Unterernährung verschont bleibt
und sich kräftig und gesund entwickeln kann.
Eine Geldfrage ist das nicht, denn wir haben so
fürchterlich viel Geld für soviele andere Dinge,
die so unendlich unwichtig sind gegenüber der
Wichtigkeit dieser grossen nationalen Frage der
Kinderfürsorge. Kinder, die hungrig und krank
sind und nicht wissen, in welcher Ecke der über
füllten Stube sie schlafen sollen, singen nicht die
Wacht am Rhein. Nur gesunde und kräftige
Kinder haben Freude und Lust an männlichen
Spielen und begeistern sich für nationale Auf
gaben, weil sie sich stark genug fühlen, auch mal
drein zu schlagen, wenn der Ruf ergeht, dass des
Hauses Pforten bedroht sind.
Nur die Fremdheit der führenden Männer, die
genau gezogenen Standesgrenzen, zeitigen die Er
scheinung, dass Männer von gutem Willen, ihr
Pferd von hinten aufzäumen wollen. Schade
um die Arbeit und das Geld, das hier verpulvert
wird. Wer sich nüchtern umschaut, der sieht,
wie so viele Herren der gesellschaftlichen Berech
tigungen mit Binden vor den Augen herumlaufen.
So leuchtet ihnen nicht ein, dass die exklusive
Stellung des Offizierskorps, das Auftreten nament
lich der aktiven jüngeren Offiziere, der zur Schau
getragene Stolz, die Angst vor jeglicher Berüh
rung mit dem Arbeiterrock, unmöglich geeignet
sein können, bei der grossen Masse des Volkes
Sympathie auszulösen. Wer in Frankreich ge
lebt hat, und wer die englische Territorial Army
kennt, der weiss, warum man in diesen Ländern
auch in den untersten Klassen das Heer als ein
nationales Institut liebt, ungeachtet dessen, dass
durch politische Momente manches nicht so ist,
wie es sein sollte.
Wir sehen, wie der deutsche Kronprinz sich
bemüht, auch dem einfachsten Mann sich zu
nähern und den Kindern der Arbeiter, wie er in
der Küche des einfachen Bauernhauses sich im
Manöver sein Essen machen lässt, statt in einem
feudalen Schloss Quartier zu nehmen, und sollten
daher die Frage aufwerfen, ob die anderen Herren
sich in dieser Kunst nicht auch versuchen wollen.
Eine nationale Jugendbewegung auf der Grund
lage der Millionen Arbeiterkinder erfordert zuerst
die nationale Pflicht der Kinderfürsorge und ra
dikalen Beseitigung der Schranken, die heute
unser Heer von dem Herzen des Volkes trennen.
Vorstadtkinder
Von Hugo Salus *)
Nachdruck verboten
Dort wo der Lärm der Vorstadt verbraust,
ln der Vorstadt draussen, fast auf dem Lande,
Schon wich das Pflaster dem Landstrassensande,
Und die Häuser, darin das Arbeitsvolk haust,
Stehn schon in Wiesen mit wirklichem Gras,
Nicht mehr Parkgras, nein ehrlichem Gras,
Dort in den letzten Vorstadtgassen,
Wo schon der Trubel der Weltstadt verbraust,
Dort gibt es Kinder in endlosen Massen,
Kinder, Kinder, wohin du schaust,
Barfuss, zerlumpt, ohne Hut auf dem Schädel,
Strohgelb und braun, ein Hin und Her,
Mädel und Buben, Buben und Mädel,
So viel Kinder gibt’s nirgendwo mehr.
Dort, wo die Weltstadt Land geworden,
Wachsen sie wild aus der Erde empor,
Aus allen Türen stürmen die Horden
Schreiender, tollender Kinder hervor.
Sind ihre Eltern auch arm an Oelde,
Kinder haben sie mehr als Geld!
Kinder gibt’s hier wie Halme im Felde,
Und den Kindern gehört einst die Welt!
Ob sie dereinst in die Stadt mit den Türmen
Einzieh’n oder hinaus ins Land,
Sie werden einmal die Zukunft stürmen,
Und die Welt liegt in ihrer Hand.
Nicht mehr ein einzelner setzt sie in Flammen:
Alle zusammen, alle zusammen!
’) Mit gütiger Erlaubnis des Dichters und der Redaktion des Berliner Tageblatts.