Full text: Sozialismus und Regierung

2 Mac Donald, Sozialismus 
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einer neuen Ordnung, der Ordnung der von den freien Staatsbürgern 
erhaltenen und beschirmten Freiheit 1 . 
Beim Eintritt des Staates in dieses letzte Stadium seiner politischen 
Entwicklung wird die Gemeinschaft in ihrem Erwerbsleben rüstig vor 
wärtsgeschritten und Politik und Industrie eng verkettet sein. Die 
moderne Gesellschaft zeigt das Bild von politischer Freiheit und wirt 
schaftlicher Abhängigkeit. Noch immer bedrücken alle wirtschaftlichen 
Leiden und Hindernisse eines gegen Lohn Angestellten den politisch 
freien Arbeiter, und die Wirtschaftskräfte sind derart organisiert, daß 
das wirtschaftlich unabhängige Individuum zur Fabel geworden ist, 
an die nur noch törichte Leute glauben. Das Individuum ist das Mit 
glied einer wirtschaftlichen Klasse geworden. Entweder gehört es zu 
der Klasse, die über die Arbeitsinstrumente rtnd sonstigen Produktions 
mittel verfügt, die die Märkte organisiert und Arbeitsgelegenheit dar 
bietet, oder aber es ist in die andere Klasse eingeordnet, die nichts 
als das gemeinsame Gut der Menschheit ihr eigen nennt: die Stärke, 
der die Erziehung Geschicklichkeit zugefügt hat. Wenn das Indivi 
duum zu der letzten Klasse gehört, so harrt seiner ein überaus trau 
riges Los. Unermüdlich kauert die Armut an der Schwelle seines 
Hauses, und die Ungewißheit sitzt an seinem Tische. An regelmäßiger 
Nachfrage nach seiner Arbeitskraft mangelt es, und sein Einkommen 
reicht in der Regel nicht zur Ernährung und Erhaltung seiner Familie 
hin und kann ihm bei Arbeitsstille und im Alter nicht das Nötige 
gewähren. Zählt aber der Einzelne zu den besitzenden Schichten, so 
ist er deshalb durchaus nicht den endlosen Unsicherheiten der gegen 
wärtigen ökonomischen Ordnung enthoben. Ob er in Wohlstand fort 
leben oder der Not anheimfallen soll, bestimmen von seinem Willen 
ganz unabhängige Einflüsse, und bricht einmal das Unglück über 
ihn herein, so empfindet er gerade wegen seiner höheren Lebens 
haltung die Pein und die Qualen viel heftiger. Man verspürt immer 
schmerzlicher die geistige Anspannung, das finanzielle Risiko und 
die Opferung jedes anderen Interesses, die die heutige Gesellschaft 
ihren „Hauptleuten" als Voraussetzung des Erfolges aufzwingt. Die 
1 Ich habe hier nur das Abendland im Auge, wo es der Religion in einer mehr 
oder weniger abstrakten Form mißlungen ist, dem Volke ein pseudogöttliches 
Regierungssystem aufzuzwingen, wie es im Orient der Fall ist. Doch selbst dort 
ist die Göttlichkeit der Könige gegenüber dem Erwachen des Volkes nicht un 
bezwingbar. (Geschrieben im Jahre 1909. d. H.)
	        
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