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noch die Frage offen, ob der wachsenden oberschlesischen Fein-
und Spezialeisenfabrikation sich auch ein gleicherweise wachsender
inländischer Bedarf öffnen wird.
Hier wird die große Agrarfrage unseres deutschen Vater
landes zur speziellen und unmittelbaren Lebensfrage der ober
schlesischen Kohlen-Eisenindustrie. Solange der Großgrund
besitz in Ostdeutschland vorherrscht, und die z. T. dadurch ver
ursachte, über vier Jahrzehnte andauernde Landflucht der ost
deutschen landwirtschaftlichen Bevölkerung die Entwicklung die
ser weiten Gebiete zum gänzlichen Stillstand bringt, werden
die Absatzaussichten der oberschlesischen Kohlen-Eisenindustrie
bezüglich ihres Jnlandsmarktes sehr beschränkt bleiben. Die
Beseitigung jener Ostdeutschlands wirtschaftliches Fortschreiten
hemmenden Hindernisse, die Vermehrung seiner Bevölkerung auf
dem Wege der Ansiedlung einer möglichst großen Zahl land
wirtschaftlicher Erwerbstätiger — an dieser gewaltigen Auf
gabe mitzuwirken, ist das ureigenste Interesse der oberschlesi
schen Montanindustrie. Immer mehr gewinnt die Auffassung
an Anhängern, daß unsere deutsche Volkswirtschaft an natio
nalem Menschenmaterial nicht genug bekommen kann.
Das deutsche Reich ist sowohl Agrar- als auch Industrie
staat und muß beides in aller Zukunft bleiben.
Die Landwirtschaft hat die Aufgabe zu erfüllen, möglichst
viel und gesunde Menschen zu liefern für die militärische Macht
des Staates und die „menschenfressenden" Industrien.
Handel und Gewerbe dagegen sind berufen, dem Staate
die für seine unmittelbaren wie besonders militärischen Zwecke
erforderlichen, stark wachsenden Geldmittel zur Verfügung zu
stellen. Anerkanntermaßen^) erfüllen Handel und Industrie
schon seit Jahrzehnten die ihneir gestellte Aufgabe in Steuern,
Zöllen wie vorzüglich in den Einnahmen der deutschen Staats
eisenbahnen. Die deutsche Landwirtschaft dagegen hat bisher
nur unter äußerster Anstrengung und Schädigung der agrari
schen Landesgebiete ihren natürlichen Zweck erfüllen können,
4) s. a. die Ausführungen in den Berliner Politischen Nach
richten, 10. August 1913.