Fünfzehntes Kapitel.
Die Schöpfungen der Berliner Sozialdemokratie
für Bildung und Kunst.
1. Die Arbeiterbildungsschule.
3 ch habe nie eine ähnliche Versammlung gesehen." So schrieb Wilhelm
Liebknecht im Januar 1891 begeistert über eine Versammlung, die
am 12. jenes Monats in Berlin in Lipps' Brauerei am Friedrichs
hain getagt hatte. Es war dies eine Volksversammlung, die einberufen
worden war, um über die Gründung einer Arbeiterschule Beschluß zu
fassen, und sie war so stark besucht gewesen, daß der mächtige Saal in
allen seinen Teilen erdrückend besetzt war. Aber nicht die Massenhaftigkeit
des Besuchs war es, die Liebknecht zu jenem Ausspruch bewegte. Über
füllte Versammlungen riesenhaften Amfangs waren für ihn nichts Neues.
Angewöhnlich aber war nach seiner Schilderung der Löhegrad weihevoller
Begeisterung, der sich in den Mienen der Versammelten malte, als Zweck
und Aufgabenprogramm der zu gründenden Schule vor ihnen entwickelt
wurden. Die Vorhut der Berliner Arbeiterschaft fühlte sich hingerissen
von dem Gedanken, daß nun ein Institut von ihr ins Leben gerufen
werden sollte, das dem bildungshungrigen Arbeiter Gelegenheit bieten
würde, für seine Ausrüstung mit den Elementen des Wissens das nachzu
holen und systematisch zu erweitern, was ihm die so mangelhaft entwickelte
Volksschule nicht oder nur unzureichend gewährt hatte. Noch gab es in
der Arbeiterschaft viele, die in der Jugend selbst nicht einmal in den
elementarsten Lehrfächern leidlich ausgebildet waren, und ihnen sollte die
Arbeiterschule diesen Anterricht verschaffen. Zugleich aber sollte sie die
Stätte des Anterrichts in denjenigen Wissenszweigen sein, die in den
staatlich anerkannten Schulen teils überhaupt nicht und teils nur in
tendenziöser Färbung betrieben werden, wie Geschichte, Nationalökonomie,
Naturwissenschaft, Rechtswesen und ähnliches. In seiner fesselnden, durch
Beispiele aller Art belebten Vortragsweise hatte Liebknecht dies den
gespannt lauschenden Zuhörern vorgeführt, und so groß war die Begeisterung,
die seine Darlegung auslöste, daß sich mehrere tausend Arbeiter zur Teil
nahme an der geplanten Bildungsanstalt meldeten, die dann den Namen
Arbeiterbildungsschule Berlin erhielt.