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wendig individuell bestimmtes Gepräge tragen müsse, nicht über-
spitzen. Schließlich treiben wir doch nicht Wissenschaft, wie wir
Schweiß treiben. Wir sollten doch erwägen, daß es eine naive und
eine kritische Art gibt, wissenschaftliche Erkenntnis zu gewinnen.
Nun sind freilich alle Forscher der früheren Zeit, einschließlich der
„Kritizisten‘“, gegenüber unserem Problem naiv eingestellt gewesen.
Aber’ in der letzten Zeit sind doch Stimmen laut geworden?®, die einer
kritischen Auffassung das Wort reden. Und wir lernen zu beurteilen:
wie weit die Bindungen des einzelnen Forschers reichen, woher sie
stammen, wie sie zu lockern sind. Und von diesem kritischen Stand-
punkt aus können wir denn auch schon unlösliche, nennen wir sie
schicksalhafte, und lösliche Bindungen voneinander unterscheiden.
Die schicksalhaften und darum unlöslichen Bindungen, in die
die Seele des Forschers verstrickt ist, stammen aus dem Blute. Sie
binden nicht sowohl unser Wollen, das heißt in unserem Falle unsere
Zielsetzungen, als vielmehr unser Können; sie bestimmen unsere Ver-
anlagung. Es gibt eben Menschen mit klarem und unklarem Denken,
mit metaphysischer und szientifischer Veranlagung, „Romantiker‘‘
und „Klassiker“, Menschen mit Anschauungsvermögen und ohne An-
schauungsvermögen, mit theoretischem und praktischem Sinn (kon-
templative und aktivistische Naturen), Menschen mit Formtalent und
ohne solches, mit sozialem Sinn und ohne solchen und so weiter in
bunter Mannigfaltigkeit. Diese Grundveranlagungen hat man einfach
hinzunehmen und kann ihnen gegenüber nichts anderes tun, als sie
zu „Typen“ zu formen und nach Typen zu ordnen.
9 Für das ganze Problem siehe außer den schon genannten Werken von
Dilthey, Rothacker, Litt, Spranger noch: Versuche zu einer Soziologie
des Wissens. Herausgegeben im Auftrage des Forschungsinstituts für Sozial-
wissenschaften in Köln von Max Scheler, mit Beiträgen von zahlreichen Autoren.
1924; Max Scheler, Die Wissensformen und die Gesellschaft. 1926, und die
verschiedenen Schriften von Karl Mannheim: Strukturanalyse der Erkenntnis-
‘heorie, „Kantstudien‘“. Ergänzungsheft Nr. 57. 1922; Das Problem der Gene-
rationen in den Kölner Vierteljahrsheften für Soziologie. Bd. VII. 1928; Referat
auf dem 6. Soziologentage in Zürich 1928 über die Konkurrenz in den Schriften
der Deutschen Ges. f, Soz. Bd. VI. 1929; Ideologie und Utopie. 192g. Vgl. auch
A. von Schelting, Zum Streit um die Wissenssoziologie und die kultursoziologi-
schen Kategorien Alfred Webers im Archiv Bd. 62. 1929.