Full text: Zum Kampf um die wirtschaftliche Selbständigkeit des Klein- und Mittelbetriebes

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lassen, wenn die Verhältnisse in dem gesperrten 
Betriebe unerträglich sind. Hunderltausende Male 
spielt es sich jeden Tag ab, dass Käufer und Ver 
käufer sich einigen müssen auf einen Preis, sich 
entscheiden müssen, ob sie kaufen oder verkaufen 
wollen, oder ob sie auf einen Geschäftsabschluss 
verzichten. In Rücksicht auf die Werte, die bei 
einem Streik auf dem Spiel stehen, muss aber eine 
Einigung, wenn sie irgend erreichbar ist, erzielt 
werden. Bei dem obigen Streikbeispiel legte sich 
der Bürgermeister ins Mittel, da dem kleinen 
Städtchen durch den Lohnausfall ein erheblicher 
Schaden erwuchs, und es gelang ihm auch, die 
Verständigung herbeizuführen. Eine Verstärkung 
des Schutzes von Arbeitswilligen erscheint nicht 
erforderlich, da die bestehende Gesetze bereits 
die Verhängung recht schwerer Strafen ermög 
lichen, wenn Gewalttätigkeiten verkommen. 
Die Unsittlichkeit 
W orin besteht das Wesen des wahren Staats 
bürgers? 
«Man will heute das deutlich überall er 
kennbare Erschlaffen der staatbildenden und 
staatserhaltenden Gefühle in erster Linie durch 
allerlei direkte Belehrungen und patriotische 
Erweckungen kurieren, statt die sittlichen Grund 
kräfte zu bilden, zu üben und geistig zu klären. 
Das echte staatsbürgerliche Gewissen hat bis 
her seine Kraft aus den Tiefen des persönlichen 
Gewissens erhalten, die bürgerliche Unbestech 
lichkeit des Charakters. 
Die egoistische Haltung des modernen Men 
schen gegenüber dem Staat lässt sich gewiss nicht 
durch Aufstachelungderblossen nationalen Leiden 
schaften und Rasseninstinkte überwinden. Wir 
brauchen eine Pädagogik, die dem Erwachsenen 
die soziale Tragweite all seines Tuns und 
Lassens vergegenwärtigt und ihn über den 
Standpunkt des blossen Interessentums hinaus 
drängt. 
Früher fragte man, wie man das Gewissen 
dessen bilden könne, der das Schicksal von 
Millionen zu entscheiden bestimmt war, nämlich 
des Fürsten. Die demokratische Entwicklung hät 
die Verantwortlichkeit für das konkrete politische 
Geschehen immermehr auf das Haupt jedes ein 
zelnen Staatsbürgers gelegt. 
Wenn der blosse kurzsichtige Erwerbssinn 
bestehen bleibt, ohne jeden moralischen und sozi 
alen Horizont, dann wird der junge Mensch nicht 
an der Hand der konkreten Aufgaben seines zu 
künftigen Berufslebens darauf hingelenkt, seine 
Ziele wie ein Bandit zu verfolgen, sondern sich 
stets in einem höheren Dienst zu fühlen, als es 
der greifbare persönliche Vorteil ist 
Sokrates sprach es aus, dass die menschliche 
Gesellschaft nur ein Tummelplatz selbstsüchtiger 
Dagegen erscheint der Schiedsgerichtszwang 
als eine dringende Notwendigkeit. Der Unter 
nehmer, der mit seinen Arbeitern oder Ange 
stellten in Differenzen kommt, die nicht beigelegt 
werden können, muss von der Gegenpartei zur 
objektiven Feststellung der Rechtslage vorgeladen 
werden können. Unter keinen Umständen darf 
man aber auf ihn dahin einen Zwang ausüben, 
dass er solche Arbeiter und Angestellte, die sich 
ihm erkennbar feindlich gegenüber stellen, aus 
seinem Betriebe nicht entlassen darf, sondern 
zur weiteren Beschäftigung derselben verpflichtet 
werden kann. 
Bei einer Gesellschaft kann der Aufsichtsrat 
einen Direktor vor die Wahl stellen, aber im Be 
triebe selbst muss der Leiter oder Unternehmer 
die Möglichkeit haben, diejenigen zu entlassen, 
mit denen er zu arbeiten nicht gewillt ist. 
im Erwerbsleben 
Interessen bliebe, wenn nicht Menschen da sind, 
in denen die Treue gegenüber dem sittlichen Ideal 
stark genug ist, um ihnen die Kraft zu verleihen, 
lieber Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun. 
Die wichtigsteAufgabe allerstaatsbürgerlichen 
Erziehung liegt in der planvollen Pflegederjenigen 
Charaktereigenschaften, die für die richtige 
Auffassung und Erfüllung aller Pflichten und 
Verantwortlichkeiten des staatlichen Zusammen 
lebens besonders wichtig sind, und die zugleich 
auch den zuverlässigsten Schutz bilden gegen die 
besonderen Gefahren, die der wahrhaft staats 
bürgerlichen Gesinnung gerade aus dem modernen 
Erwerbsleben entstehen. 
In seinem Buch «Politik und menschliche 
Natur" schreibt Graham Wallas: 
Wenn unsere Jungen und Mädchen durch 
den Staatsbegriff so tief aufgerüttelt werden sollen, 
wie die Schüler des Sokrates es wurden, dann 
müssten unsere Lehrer und Schriftsteller sich an 
ihre Aufgabe mit der leidenschaftlichen Wahr 
heitsliebe und mit dem Forschermut der Dialektik 
des griechischen Weisens heranmachen." 
Die Sätze, die ich hier angeführt habe, habe 
ich mir aus dem Vorwort eines vortrefflichen 
Buches von Professor Förster-Wien über die 
»Staatsbürgerliche Erziehung"*) herausgezogen, 
weil sie mir so wertvolle Wahrheiten zu sein 
scheinen. 
Wie ist nun der Staat beschaffen, der sich 
heute bemüht, oder behauptet sich zu bemühen, 
seine Bürger sittlich stark zu machen. Es ist für 
mich ganz ausser Zweifel, dass die Ursache, für 
das Entstehen der Unsittlichkeit in unserem ge 
sellschaftlichen Leben in der Hauptsache in dem 
Erwerbskampf zu suchen ist. 
•) Verlag von B. Q. Teubner, Leipzig 1914.
	        
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