Full text: Sozialismus und Regierung

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genden Idee zu bemessen, so verspürt man in diesen Gefechten die 
Anstrengungen des politischen Organs, sich neue Bedingungen zu as 
similieren, das Aufbäumen des heißblütigen, aufstrebenden Neuen, 
das zeitweilig mit dem entnervten Alten zusammenprallt; man erkennt 
dann die geringe Bedeutung der mathematischen Narrheit, mit der 
oft „dreieckige“ Kämpfe enden. Trotzdem raten oberflächliche Äußer 
lichkeiten so dringend davon ab, sich in Geduld zu fassen, bis sich die 
Bedingungen selbst rektifiziert haben und eine neue, entscheidende 
Phase im politischen Leben des Volkes begonnen hat, daß die Zeit 
gebietend zu heischen scheint, das Verlangen nach einer mechanischen 
Regulierung zu befriedigen, um während der Sturm- und Drangperiode 
der neuen Ideen den Anforderungen einfacher Mathematik zu ge 
nügen. 
Der erste auf diesen Zweck gerichtete Vorschlag war die Stichwahl, 
doch sprechen die mit ihr gemachten Erfahrungen nicht sehr für sie. Zu 
nächst modifiziert sie das Wahlresultat nur wenig 1 ; dann hat sie den 
politischen Ton und Charakter und die politische Moral nicht gehoben. 
Wen das Schicksal auf einer kurzen Liste von Rivalen an die erste Stelle 
gerückt hat, der kann im allgemeinen, selbst wenn er nicht die absolute 
Stimmenmehrheit erhalten hat, auf genügende Unterstützung durch 
Wähler eines seiner Gegenkandidaten rechnen, um das entscheidende 
Gottesurteil zu bestehen. Bei der Hauptwahl an der Spitze zu mar 
schieren, ist für die Stichwahl von großem Vorteil; denn das siegreiche 
Pferd erhält in der Regel am leichtesten Hilfe. Der Mann oder die Partei, 
der resp. die schon am Kelche nippt, wird peinlichst versucht, in den 
1 Siehe die Independent Review, Februar 1905, worin ich die Resultate der für 
den Pariser Gemeinderat im Jahre 1904 stattgefundenen Stichwahlen und eben 
falls die kurz darauf vollzogenen Wahlen zur italienischen Kammer analysiert 
habe. Im ersten Falle habe ich gezeigt, daß, wenn man sich an die nackten Zahlen 
hält, das Ergebnis der Stichwahl war, die republikanische Mehrheit von 3 auf 9 
zu erhöhen, was einer Differenz von fast 4 Proz. des Gesamtresultates gleich 
kommt. Es war j edoch offenbar, daß sich die Anzahl der Kandidaten am 1. Mai in 
einigen Arrondissements unnötigerweise vermehrt hatte, weil die Parteien wußten, 
daß sie sich am 8. Mai einen offenen, geordneten Kampf sichern konnten. Dies 
war der Fall in wenigstens 3 Arrondissements, wo die Kandidatenliste reduziert 
worden wäre, hätte keine Stichwahl stattgefunden. Das Resultat der Stichwahl 
hätte sich dann schon bei der Hauptwahl ergeben. Deshalb war das wirkliche 
Ergebnis nichtssagend. Was die italienischen Wahlen anbetrifft, so hat die Stich 
wahl nur in 15 Fällen die Chancen der Parteien verändert, verglichen mit dem 
Resultat, das sich ergeben hätte, wenn die bei der Hauptwahl an die Spitze der 
Listen gerückten Kandidaten als erwählt erklärt worden wären. Diese Wahlen 
wurden unter Bedingungen ausgefochten, die im zweiten Wahlgang eigentlich 
em Maximum der möglichen Verschiebungen hätten bringen müssen.
	        
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