Vorwort
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Vorwort
Seit dem erftmaligen Erfcheinen diefer Schrift (1905) hat fich für die Hausinduftrie
manches geändert. Gründliche wiffenfchaftliche Forfchungen — ich erinnere an die
vorzüglichen Werke von Bittmann, Arndt, Wilbrandt, Gaebel — haben die Kenntnis
der Lage der Heimarbeiter bedeutend vermehrt, befonders nach der hauswirtfchaftlichen,
pfychifchen und ethifchen Seite hin, die hiftorifchen und urfächlichen Zufammenhänge
klarer herausgearbeitet und vor allen Dingen zu einer durchgreifenden Reform
fchätzenswerte Beiträge geliefert. Die Regierungen haben durch Gefetzentwürfe
und allerlei Anregungen weit mehr als früher den ernften Willen bekundet, helfend
cinzugreifen. Die langen parlamentarifchen Debatten ließen bei der Mehrzahl der
Volksvertreter ein feines Verftändnis und warmes Intereffc für die Lage und Bedürftig
keit der Heimarbeiter durchblicken. Auf nationalen und internationalen Kongreffen
wurde die Hausinduftriefrage gründlich erörtert. Heimarbeitausftellungen hellten mit
Blitzlicht die Zuftändc in der Heiminduftrie auf. Auch die Preffe tat das ihrige und
trug die Kunde von den Heimarbeitern in die breiten Schichten des Volkes. Die Über
zeugung, daß es in der Heimarbeit fchlecht fteht und daß hier geholfen werden muß,
ift Gemeingut des Volkes geworden. Nur oberflächliche Menfchen oder denen Partei -
und Gefchäftsintereffc das Urteil getrübt hat, reden anders.
Doch die fchöne Medaille hat ihre Kehrfeite. Fragen wir die Heimarbeiter felbft:
„Was ift bei euch in dem letzten Jahrzehnt beffer geworden?“, fo erhalten wir bei
der Mehrzahl die verblüffende Antwort: „Nichts.“ Und fo ift es in der Tat. Die Auf-
faffung des Heimarbeitproblems ift eine andere geworden, der Inhalt ift im großen
und ganzen derfelbe geblieben. Mag ein kleiner Teil der in Betracht kommenden Men
fchen von dem allgemeinen Auffchwung ergriffen und der Sonnenfeite des Lebens
etwas näher gekommen fein, gerade in jenen Gebieten der Hausinduftrie, die man feit
geraumer Zeit vorzugsweifc als Elendsinduftrien zu bezeichnen pflegte, ift die wirt
schaftliche Bafis, der Arbeitslohn, auf demfelben Niveau geblieben. Im vorigen Jahre
hat der Gewerkverein der Heimarbeiterinnen eine Enquete nachgeprüft und vervoll-
ftändigt, die im Jahre 1907 ftattgefunden hatte. Sie bezieht fich in erfter Linie auf
die verfchiedenen Zweige der Konfektion, dann auch auf Trikotnäherei, Mafchinen-
ftrickerei, Papierinduftrie und fonftiges. Die Enquete erfaßt naturgemäß nur eine
beftimmte Gruppe, nämlich die organifierten Heimarbeiterinnen, alfo eine Mittel-
fchicht der weiblichen Heimarbeiterfchaft, wenn man will, eine Obcrfchicht; jeden
falls aber fpielen die allergedtückteften Exiftenzen in der Erhebung keine bedeutende
Rolle. Ein Vergleich der beiden Erhebungszeitpunkte ergibt, daß in dem Zwifchenraum
von fünf Jahren die Löhne fich kaum geändert haben. 54 Prozent verdienen unter
15 Pf. Stundenlohn, 26 Prozent zwifchen 16 und 20 Pf., und nur 20 Prozent über 20 Pf.