TÜRKEI
Inhalt im einzelnen
Während das erste Moratorium unmittelbar auf das Betreiben der Banken
zurückzuführen und auch in erster Linie zur Wahrung der Interessen der
Banken bestimmt war, hat sich der Finanzminister bei der Verlängerung des
Moratoriums mehr von den allgemeinen Interessen, insbesondere denen der
Bankkunden leiten lassen. Die Bestimmung einer Mindestauszahlung von 10 Ltq.
für jedes Konto, die offenbar dazu bestimmt ist, den Familien die Beschaffung
der nötigen Lebensmittel und die Fortführung des Haushalts zu sichern, dürfte
für die Banken mit großer Sparkassenkundschaft recht hart sein. Es steht zu
befürchten, daß verschiedene Banken ihr schon in allernächster Zeit nicht mehr
gewachsen sein dürften. Als besonders gefährdet gelten — außer dem schon
zu Anfang der Krisis überrannten Wiener Bankverein — die Russische Bank
für auswärtigen Handel, die Banque de Salonique und die Banque d’Athenes.
Günstiger beurteilt man die Lage des Credit Lyonnais, der in der Hauptsache
die wohlhabenden Sparer zu Kunden hat, am günstigsten die Deutsche Bank
und die Ottomanbank.
Die Bestimmung, daß allgemein 5 v. H. der fällig werdenden Schulden
zu zahlen sind und daß alle neu eingegangenen Verpflichtungen nicht unter
das Moratorium fallen, hat anscheinend den besonderen Zweck, das Moratorium
schärfer als bisher als einen Notzustand zu kennzeichnen und der durch die
allgemeine Fassung des ersten Gesetzes geförderten Auffassung entgegenzuwirken,
daß ohne weiteres der ganze Zahlungsverkehr eingestellt sei.
Die Verlängerung der Gnadenfrist beim Wechselprotest dürfte unter den
gegenwärtigen Umständen einem wirklichen Bedürfnis entsprechen und als eine
Ausdehnung der Möglichkeit zu gütlichen Verhandlungen in kaufmännischen
Kreisen allgemein gewürdigt werden.
Mit der Bestimmung über die Berechnung von 4 v. H. Zinsen auf bis
her zinsfreie — meist aus religiösen Gründen von der muselmanischen Be
völkerung ausdrücklich als zinsfreie vereinbarte — Bankguthaben und 7 v. H.
Verzugszinsen auf fällig gewordene Privatschulden bringt das Gesetz gegenüber
dem bisherigen türkischen Rechte, das Verzugszinsen in Höhe von 9 v. H. nur
nach formellem Protest kannte, etwas ganz Neues. Wenn diese Bestimmung in
ihrer praktischen Anwendung auch da und dort auf Schwierigkeiten stoßen
wird, so dürfte sie doch mit Rücksicht auf die voraussichtliche lange Dauer
der Unregelmäßigkeit im Zahlungswesen sowie als allgemeine Belehrung des an
Genauigkeit nur zu wenig gewöhnten Publikums von großer Zweckmäßigkeit sein.
Der türkische Handel sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse im all
gemeinen haben gegenwärtig einen Tiefstand erreicht, der alle Krisen der letzten
Jahre übertrifft. Die Wareneinfuhr ist fast auf Mehl und Kolonialwaren be
schränkt, die in den meisten Fällen gleich bei Ankunft von den Militärbehörden
beschlagnahmt werden. Schon jetzt sind verschiedene Warengattungen im
Kleinhandel nicht mehr vorrätig und die Preise der Lebensmittel enorm
gestiegen. Gelangen zufällig gelegentlich noch andere Waren hierher, so
werden sie von den Kaufleuten nicht in Empfang genommen und wandern in
die Zollniederlagen oder werden nach neutralen Häfen zurückgesandt. Die
Ausfuhr von Getreide aus dem Innern des Landes nach Europa ist verboten,