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sozialpolitischen Einschlages. Konnte ich früher zuweilen davon sprechen, daß eine
Mischung von plattester Juristerei und ebenso Platter Versicherungstechnik unsere
Arbeiterversicherung beherrschen, so ist heute der völlige Sieg der sozialpolitisch
schier analphabetischen Versichernngstechnik eine vollendete Tatsache.
Für mich unterliegt es keinem Zweifel, daß auf dem Gebiete der sozialen
Versicherung der Versicherungsmathematiker nur der Gehilfe des Sozialpolitikers
sein müßte. Bei uns ist er aber der unumschränkte Herr der Situation. Kommt
noch dazu, daß gewisse Neigungen und Abneigungen, über die einmal öffentlich
gesprochen werden müßte, bewirken, daß alle Gedanken auf die Zurücksetzung und
Benachteiligung der Arbeiter gerichtet sind, so ist das Ergebnis, das sich uns jetzt
in der Regierungsvorlage über die Sozialversicherung präsentiert, bald erklärt.
Ich weiß manchen, der sehr stolz darauf ist und sich dessen laut rühmt, als Erster
die Parität bei den Krankenkassen als Mittel erfunden zu haben, um den Ein
fluß der Arbeiter ins Herz zu treffen.
Das vcrsichcrungstcchnische Departement, dem neben der privaten auch die ge
samte soziale Versicherung untersteht, hat nun gegenüber allen anderen Fachdepartements
einen schwerwiegenden Vorteil voraus, der den maßgebenden Beamten eine schier
unumschränkte Macht einräumt: es ist bei uns der offizielle Repräsentant der Ver-
sichernngsmathematik, einer Art Geheimwisscnschaft.
Bei den Vorschlägen, die den Ministern oder den Zentralstellen unterbreitet
werden, brauchen sich die Versicherungsmathematiker gegenüber jedem Widersprüche
oder Abänderungsvorschlägen nur hinter die unabänderlichen Gesetze der Ver
sicherungsmathematik zu verschanzen, um sofort gewonnenes Spiel zu haben.
Diese Methode hat sich in der Tat bisher vortrefflich bewährt. Auch die Mehr
zahl der Abgeordneten wagt es nicht, Widerstand zu leisten, wenn die Vertreter
des vcrsichcrungstechnischen Departements das Gesicht in ernste Falten legen und
erklären, bei Ablehnung der Vorschläge oder bei Annahme anderer Anträge würden
sie auf Grund ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse eine Verantwortung für die
Folgen nicht übernehmen. Diese Methode kommt nicht nur bei wichtigen prin
zipiellen Anlässen, sondern vielfach auch bei Nichtigkeiten erfolgreich zur An
wendung. Man hat den Eindruck, daß es lediglich der Machtkitzel ist, der zu
dieser Taktik allmählich verleitet hat. Wie steht cs nun aber in Wirklichkeit mit
der Versicherungsmathematik und ihren Gesetzen?
Die unabänderlichen Gesetze der Versicherungsmathe matik.
Selbst die Privatversicherung tappt in wichtigen Fragen heute noch völlig
im Dunkeln. Sie besitzt ja gerade darin die Möglichkeit zu vielerlei Mißbräuchen
und zur Erzielung fabelhafter Gewinne. Im Bereiche der Sozialversicherung
steckt die Wissenschaft völlig in den Kinderschuhen. Wo immer sie bisher versucht
hat, sich autoritativ aufzuspielen, hat sic schwere Niederlagen erlitten. Nur vor
sichtig tastend und mehr versuchend und Erfahrungen sammelnd kann sie vorwärts
kommen und allmählich jene Grundsätze finden, die vielfach von denen der Privat
versicherung abweichen. Für die Zwangs- und Massenversicherung, das ist ja klar,
können nicht mathematische Gesetze aus der Phantasie konstruiert werden. Nur
die Erfahrung, das Experiment, sind auch hier beweisend. Jeder andere Weg
führt zu Mißerfolgen.
So hat denn auch die Durchführung der Unfallversicherung unseren gar zu
selbstbewußten Mathematikern gezeigt, daß sic gründlich umlernen niüssen. Man
weiß heute auch, daß cs für die Krankenversicherung gerade in entscheidenden
Fragen nur sehr wenig allgemein gültige Grundsätze gibt. Die Krankenkassen
müssen vielmehr territorial und beruflich abweichend behandelt werden.
Auch die Invalidenversicherung hat in Deutschland durch die überraschende
Differenzierung bei den einzelnen Landesversichcrungsanstalten den Versicherungs-