126 I. Buch B III: K. Oldenberg, Wirtschaft, Bedarf u. Konsum.
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Wahrscheinlich wirkt aber auch der Einfluß des körperlichen Sports x ), sowie die
Konkurrenz anderer Luxusausgaben (wie der für Kinematographen), endlich auch
die Antialkoholbewegung mit.
Von den Arten des Alkohol geht der Branntwein im allgemeinen etwas zurück,
während das Bier, trotz rückgängigen Verbrauchs pro Kopf, doch relativ an Terrain
gewinnt. In der Zunahme des Bierkonsums in Gebieten mit früher geringeren Ver
brauchsmengen kommt zugleich eine moderne Nivellierungstendenz zum Ausdruck:
Jährlicher Bierverbrauch Liter pro Kopf:
Deutsches
Zollgebiet
Norddeutsches
Brausteuergebiet
Bayern
Württem
berg
Baden
Reichsland
1874—78
91
65
241
196
77
39
1884—88
94
75
213
159
86
51
1894—98
117
98
237
186
132
76
1904—08
110
89
237
166
156
95
1909—11
101
79
235
163
140
90
Solche Berechnungen des Konsums für die ganze Reichsbevölkerung, die auch
für andere Güter vorliegen * 2 ) und am einfachsten für bloße Einfuhrartikel und für
Objekte der Reichsbesteuerung gemacht werden können, geben ein zutreffendes
Bild des Konsums und seiner Veränderungen natürlich nur bei Gütern, deren Ver
brauch einigermaßen gleichmäßig in der Bevölkerung verbreitet ist; unter Um
ständen muß man die Gliederung der Bevölkerung nach Geschlecht und Alter be
rücksichtigen, so beim Tabakkonsum. Ferner ist bei dieser indirekten Konsumtions
statistik, die auf den Anschreibungen der Produktion und der Ein- und Ausfuhr
beruht, nicht zu übersehen, daß viele Waren bis zum Konsum längere Zeit lagern
und daher fälschlich dem Konsum des Produktions- oder Einfuhrjahrs zugeschrieben
werden. Drittens ist zu beachten, daß viele Güter zum Teil technisch konsumiert
werden. Wenn z. B. der jährliche Brotgetreidekonsum auf etwa 230—240 kg, der
Kartoffelkonsum auf etwa 600 kg pro Kopf der reichsdeutschen Bevölkerung be
rechnet wird, so stecken darin auch die verfütterten Mengen und die industriell,
z. B. zur Branntweinbrennerei verbrauchten. Und wenn die konsumierte Brotgetreide
menge pro Kopf der Bevölkerung zeitweilig scheinbar zunimmt, so kann das z. B.
daran liegen, daß bei sinkendem Preise mehr Korn verfüttert wird, oder daß mit
Rücksicht auf die veränderte Nachfrage der Konsumenten beim Mahlen mehr Futter
kleie zurückbehalten und dem menschlichen Konsum nur ein feineres Mehl zuge
führt wird. Bei der Vergleichung längerer Zeiträume kommt auch in Betracht,
daß der frühere Konsum von Gerste und Hafer jetzt in den Hintergrund getreten ist.
An Salz werden zu Speisezwecken pro Kopf jährlich seit Jahrzehnten sehr
x ) Cohnheim, S. 260: „Die praktischen Erfahrungen von Tausenden beweisen die
Unverträglichkeit großer sportlicher Leistungen mit Alkoholgenuß; sie ist es, die den Alkohol
genuß unter jungen Leuten in letzter Zeit hat sinken lassen und die Trinksitten zu refor
mieren beginnt.“
2 ) Derartige Verbrauchsberechnungen für Deutschland bringt das Statistische Jahrbuch
des Deutschen Reichs in seinem 10. Abschnitt. Internationale Zusammenstellungen findet
man z. B. in Neumann-Spallarts und Jurascheks Uebersichten der Welt
wirtschaft und im 3. Teil des Denkschriftenbands zur Begründung des Entwurfs
eines Gesetzes, betr. Aenderungen im Finanzwesen, 1908, S. 58 ff. Eine Erörterung der Grund
lagen der deutschen Verbrauchsstatistik gibt B a 11 o d in dem von Zahn herausgegebenen
Werk: Die Statistik in Deutschland, 1911, II 607 ff. Aus der großen Spezialliteratur über die
Statistik des Fleischkonsums erwähne ich nur die zusammenfassende Darstellung von E ß 1 e n:
Die Entwicklung von Fleischerzeugung und Fleischverbrauch auf dem Gebiete des heutigen
Deutschen Reichs seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts, im Juniheft 1912 der Jahrbücher
für Nationalökonomie, und: Die Fleischversorgung des Deutschen Reichs, Stuttgart 1912; aus
der Literatur der Alkohol- und Tabak-Konsumstatistik: L i ß n e r in der Zeitschrift für So
zialwissenschaft 1908, für die Statistik des Tabakkonsums auch Denkschrift zum Entwurf
eines Tabaksteuergesetzes 1908. Die nützliche Schrift von Apelt, Die Konsumtion der wich
tigsten Kulturländer in den letzten Jahrzehnten, 1899, ist jetzt großenteils antiquiert durch
Ballods Grundriß der Statistik, 1913.