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Die Begrundung flihrte aus:
„Keine gesetzliche Aufgabe der Gemeinden wirkt im allgemeinen aus
die Belastung der cinzelneu Gemeinden verschiedener, als das Bolks-
schulwesen. Der Reichtum an Volksschulkindern pflegt in umgekehrtem
Verhaltnis zur steuerlichen Leistungsfahigkeit der Gemeinden zu stehen.
In Arbeitergemeinden entfallt selbst bei sparsamster Einrichtung des
Volksschulwesens auf den Einheitssatz der Staatseinkommensteuer ein
um ein erhebliches Vielfaches hoherer Betrag von Volksschulausgaben,
als in den Wohnsitzgemeinden reicher Leute, selbst wenn dort das Volks- ^
schulwesen in einer weit liber die gesetzlichen Pflichten hinausgehenden
Weise ausgebaut wird. So darf wohl der paradox klingende Satz auf- ^
gestellt werden, dah in der Regel die Volksschnllasten im Verhaltnis |
zum Staatseinkommenstenersoll dort am hochsten find, wo das 'Volks- \
schulwesen am durftigsten und dort am niedrigsten, wo es am voll- j
kommensten ausgestaltet ist.
Must die se Entwickelung j chon bei Betrachtung!
der Verhaltnisse i in g a n z e n S t a a t z u f ch w e r e n B e -
denken Anlah geben, so erscheint der Mi h stand ver -
scharftunddie^usgabenach^bhils^besoudersdriu-
gend, wenn inn er h alb ein es einheitlichen Wirt-!
jcha ftsgebietes mit gdmeinsamem Ortsverkehr!
solche Gegensatze in den Verhaltnis sen verschiede-
n e r Gemeinden b e st e h e n. H i e r d r a n g t s i ch der B e r - !
g l e i ch z w is ch e n i h n e n in besonders st a r k e m M a h e
verbitternd nnd die sozialen Gegensatze vers ch a r -1
f e n b a n f. Auchliegtinnerhalbeinessotcyeneinheit-
lichen Wirts chaftsgebietes die Gesahr, dah bi e |
Unt erschi ede i n den V e rh al tni ss en d'er Gemeinden!
zu esner Ab w and erung der stenerkraftigeren Cle
mente in die guu stig er gestellten und d a init 5 it einer
for tgesetzten S t e i g e r u it g des Unterschiedes s u h r e n,
besonders n ah e, d a hier die Verlegung des Wohn-
sitzes 0hne Veranderung der wirtschaftlichen Exi-
stenzb e d in g u n g en moglich ist.
Hier einen gewissen Ausgleich durch Uebertragnng wenigstens eines
Teiles der Volksschnllasten auf breitere Schultern herbeizufiihren, er- !
scheint dringend geboten."
Der Vorschlag der Regierung ist der Gegenstand eifriger Erorterungen
auf den Verbandstagen der Stadt- und Landgemeinden und auch in der
Literatur geworden. Er ist fast allseitig auf Widerspruch gestohen und zwar
nicht etwa nur bei denen, die bei jedem Versuch, die Volksschnllasten breiteren
Schultern aufzubiirden, die Zahlenden sein wiirden, sondern auch bei denen,
die liber eine Belastung mit derartigen Ausgaben gegenwartig zu klagen haben
und ihre eigenen Bestrebungen auf Erleichterung dieser Lasten richten. Nur
wenige Stimmen — vergl. Jordan im Preuhischen Berwaltungsblatt
Bd. 35 S. 69 — suchten die von der Regierung vorgeschlagene scheinbar ein-
fache Losnng eines so uberaus schwierigen Problems zu verteidigen. Selbst
der Verband der groheren preuhischen Landgemeinden hat mit derselben Be-
stimmtheit, wie er nach Abhilfe gegen die kommunale Belastung seiner Mit- s
glieder gegen die Volksschnllasten rust, *) den Vorschlag der Regierung nicht
nur als untauglich, sondern auch, wie besonders hervorgehoben werden muh,
als gegen den Grundsatz der Selbstverwaltung verstohend,
abgelehnt. (Vergl. Mitteilungen des Verbandes, Beilage zur Zeitschrift flir
Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik, Verlag von Stalling, Olden
burg 1913 Nr. 10). Es war daher nur folgerichtig, dah bei dem eudgultigen
Entwurfe der Novelle zum Kommunalabgabengesetz die Regierung auf den
§ 63a nicht zurlickkam, namentlich wohl auch in der richtigen Erkenntnis,
dah die Frage der Verteilung der Schullasten nicht im Kommunalabgaben- !
gesetz gelost werden konne.
Hiergegen wenden sich uunmehr die Petitionen des Landkreises s
Niederbarnim mud der Stadtkrcise Neukollu und Lichteli
ber g sowie eines Teiles der Landgemeinden des Kreises Nieder- !
barnini — int folgenden „Petition der Vororte" genannt — nnd
eine Petition der Gemeinde Linden bei Hannover. Sie bilden
den Ausdruck des namentlich von den Berliner Vororten stets eiu-
genommeu Standpunktes, es musse zur Erleichterung der Schul-
lasteu innerhalb wirtschaftlich einheitlicher Gebiete ein Ausgleich geschaffeu
werden. Die Begrundung bcider Petitionen ist cine nicht vollig liber-- i
einstiinmeude. Die Pet ion der Berliner Vororte betrachtet ausschliehlich
das Verhaltnis von Groh-Berlin. Sie sieht in dem 8 53a, den sic !
erstrebt, im wesentlicheu einen Ansbau des 8 53 des KAG.f) und be-
grlindet die Notwendigkeit der Einfuhrung eines besonderen Schullasten-
ausgleichs in wirtschaftlich einheitlichen Verbanden wie Groh-Berlin zum
Teil auch mit der Schlvierigkeit der Anivendung des genannten 8 53.
Dah ihr dabei der Widerspruch unterlauft, cinmal Groh-Berliu ein „ein-
heitliches Jndustriezentrum" zu nennen — was von Berlin in den Schul-
lastenstreitsachcn stets behauptet, aber von den Vororten, namentlich von
Neukolln, bestritten worden ist — unt andererseits wiederum mit dec
*) Vergl. die Petition des Verbandes der groheren preuhischen Landgemeinden
vom 28. Februar 1912, 24. Petitionsbericht der Unterrichtskommission Abgeordnetett- .
Hans 2l. Legislaturperiode, V. Session,
s) Siehe Anhang.