16
Aber im westlichen Denken vermischt sich der Rationalismus allzu-
häufig mit dem monistischen Naturalismus, so daß er nur in seltenen
Vällen ein echtes, das heißt eben dualistisches Naturrecht erzeugt.
Dieses wird erst ausgebildet durch die deutsche Philosophie des
ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts, so daß wir
für unsere Zwecke nur die Systeme der deutschen Denker in Betracht
zu ziehen brauchen. Was auch sie zu echten Kindern der „Auf-
klärung‘“ macht, ist der siegesbewußte Glaube an die Macht des
Wissens, das — dank dem Einflusse Kants — mit Wissenschaft
gleichgesetzt wurde. Die ‚Wissenschaft‘, heißt es in einem Buche,
das bezeichnend ist für den Schwung und die Begeisterung, womit
man alle intellektualistische Erkenntnis förderte®, „ist das göttliche
Licht, welches bei allen anderen menschlichen Werken vorleuchtet
und über sie ein eigentümliches, geistiges Kolorit verbreitet‘.
Es mag genügen, wenn ich kurz die Systeme des Naturrechts bei
Kant und Fichte, Hegel und Ahrens in ihren Grundzügen skiz-
ziere.. Die Gedanken Kants, die er vor allem in seiner „Grund-
legung zur Metaphysik der Sitten‘ und in seinen „Metaphysischen
Anfangsgründen der Rechtslehre“ niedergelegt hat, sind folgende:
Wir müssen dem „Gesetz“ gemäß handeln, das heißt aus Pflicht. Das
Gesetz besagt aber: „daß ich auch wollen könne, meine Maxime
solle ein allgemeines Gesetz werden können‘. Dieses Gesetz stellt
die Vernunft auf: da „die Vernunft für sich selbst und unabhängig
von allen Erscheinungen gebietet, was geschehen soll“. „Pflicht als
Pflicht (Kegt) vor aller Erfahrung, in der Idee einer den Willen
durch Gründe a priori bestimmenden Vernunft“. Es handelt sich um
„reine von allem Empirischen abgesonderte Vernunfterkenntnis“.
um Gesetze, die „aus dem allgemeinen Begriffe eines vernünftigen
Wesens überhaupt abgeleitet werden‘, um „Grundsätze, die die Ver-
nunft diktiert und die durchaus nötig a priori ihren Quell und hiermit
zugleich ihr gebietendes Ansehen haben müssen: nichts von der
Neigung des Menschen, sondern alles von der Obergewalt des Ge-
zetzes und der schuldigen Achtung für dasselbe zu erwarten. oder
4 Karl Christian Friedrich Krause, Das Urbild der Menschheit, 1808
3, Aufl. 189%. S. 33,