Full text: Die Berliner Arbeiterbewegung von 1890 bis 1905

An die Beamten 
im hk. kommunal - Wahlbezirk! 
—BB———MIH I———i—————————B——MM— 
Am Mittwoch, de« 6. Uovember, findet im 44. Kommunal-Wahlbezirk die 
Mahl eines Stadtverordneten 
für den ausscheidenden Stadtverordneten Glocke statt. 
Zum Erstaunen aller mit dem öffentlichen Leben ver 
trauten Burger unseres Bezirks taucht zur Beteiligung an 
den Wahlen eine kleine engherzige Interessengruppe auf, die 
unter dem Namen einer sogenannten 
Konservativen Kürgerpartei 
kür die Wahl eines Mannes Stimmung zu machen sucht, der 
eine politische Null, bisher auch nicht das geringste für das 
Geitieindewohl geleistet hat. 
In der fehx richtigen Annahme, das; den im Bezirke 
wohnenden Beamten nicht damit, gedient, sein kann. für. eine 
bestimmte Partei Heeresfolgc zu leisten, sondern das; die 
selben bei den heutigen schwierigen Wirtschaftsverhältnisseri 
praktische Lclätigungcn der kommunalen 
Keliörden 
verlangen, unternimmt es diese reaktionäre Vereinigung, die 
Beamten dadurch zu gewinnen, daß sic vorgibt, dieselben 
Forderung an die Kommune 
stellen zu wollen, die bisher einzig und allein von der Sozial 
demokratie mit Ernst nnd Energie gefordert wurden. 
Das ist um so auffälliger, als diese Herren während der 
verflossenen 6 Jahre auch nicht das geringste getan haben, 
uw die von der 
KaKaldemokratie im schweren Kampfe gegen 
die rückständigen tzausbesikcr 
im Rathause begonnene 
Krrbesserungsp-litik 
zu unterstützen. 
Verständlich wird diese eigentümliche Haltung ober sehr 
bald, wenn man erfährt, daß die Kandidaten und Führer der 
..Bürgerpartei" 
waschechte Hanobefichcr oder Anhänger unserer 
Hansagrarier 
sind. Als Fleisch von ihrem Fleisch, machen sie keinen Unter 
schied in' der Verfolgung ihrer engherzigen Ziele, und in 
trauter. Harmonie eines vereinigten Mischmaschs schließt sich 
der Freisinn diesen Ecldsackspolitikern an, um desto un 
gestörter die Macht des Hausbesitzers gegenüber den Mietern 
zur Geltung zu bringen. Die kolossalen Mietssteigerungen 
der letzten Jahre bilden den besten Betpois dafür. 
Beamte? Wir wissen sehr genau, daß man auch dies- 
mal, wenn auch nicht offen, so doch von hinten herum, mit 
dem verlogenen Sprichwort kommen wird: „Dessen Brot Du 
ißt, dessen Lied mußt 3>u- singen"; mit anderen Worten: 
„Ihr, die Ihr „unsere" Angestellten im Reich, Staat und Ge- 
r münde seid. Ihr habt für uns zu stimmen, selbst wenn Ihr 
nicht unsere Ueberzeugung habt". 
Man mutet somit dem kleinen Beamten zu. daß er sich 
selbst zum politischen Heloten und Heuchler degrahiere. 
Da» kann und wird nicht der Wiste der 
kleinen Beamten sein! 
Indes, wird der kleine Beamte fragen, wie kann ich 
der Sache nützen? Einen Konservativen mag ich nicht wählen, 
und einen Sozialdemokraten, dem ich wohl bei der Reichstags- 
wahl meine Stimme geben kaiin, darf ich diesmal nicht 
wählen. will ich nicht meine kümmerliche Existenz als kleiner 
Beamter aufs Spiel setzen. 
Um picht mit seinen: politischen Gewissen in Konflikt 
zu geraten, wird deshalb der kleine Beamte gut tun, zwischen 
den Parteien eine neutrale Haltung einzunehmen, das heißt, 
am Tage der Wahl sich der Stinune enthalten, um nicht die 
Position seines politischen und wirtschaftlichen Gegners zu 
stärken. 
Daß die Sozaildemokrateu^ 
für die wirtschaftlichen Interessen der kleinen 
staatlichen und städtischen Kramte« 
und der städtischen Arbeiter eintreten, haben sie oft genug 
bewiesen. 
Im -Reichstage sind die Sözialdemokraten wiederholt 
in .beredten Worten für die Aufbesserung der Gehälter 
gerade der.kleinen Beamten, aufgetreten, ohne von den 
bürgerlichen Parteien, mit Einschluß der Freisinnigen, 
irgendwie unterstützt zu werden. 
Handelt es sich.um die Bewilligung hoher Beamten- 
gehälter an die Herren Vorgesetzten, da sind Konservative 
und- Freisinnige ein Herz und eine Se?le: für den kleinen 
Beamten bleibt nichts übrig, damit er ja nicht, zu übermütig 
wird und nicht vergißt, daß er auch nur Proletarier ist! 
Kramte! Gebt daranf am 6. November bei der Mahl eines Ktadtverardneten di- 
richtige Antwort! Diese kann mir laulcn: „Weil ich einem Sozialdemokraten Lssentlich 
meine Klimme nicht geben kan», habe ich anderersrits keine Veranlassung, meine» Gegner 
k» unterstühen, da er durch seine bisherigen Tate» bewiesen, daß er des Vertrauens seiner 
Wähler, der kleinen Kramte», sich nicht würdig gezeigt hat! 
««antttjotlii*: Wich. greortal«. Berlin Gertenplotz I - Druck: BoOTöü« Buchdrucker,! und ‘BertaflSanüuIt Paul äiilflcr & «o. Berti" SW. 68. Liud-Nltu 68 
107. Sozialdemokratisches Flugblatt an die Beamten
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.