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Von den Reziprozitätsabkommen, die inner
halb der im Dingleytarif vorgeschriebenen Frist
negotiiert worden waren und die auch für uns
Deutsche bemerkenswerte Zollzugeständnisse der
Union enthalten hätten, insofern der Zoll auf
Zucker eine r 2 I / 2 prozentige Reduktion erfahren
haben würde und die Frankreich gewährten Zu
geständnisse uns zugefallen wären, ist, wie bereits
erwähnt, kein einziges ratifiziert worden. Man wird
angesichts dessen wohl nicht fehlgehen mit der
Behauptung, daß der Teil der Reziprozitätsklausel
im Dingleytarifgesetze, welcher eine 20prozentige
Reduktion der Zölle im Wege von Tarifabkommen
verstattete, überhaupt nicht ernst gemeint war
und nur dazu diente, den Tarif nach mancher
Seite hin schmackhafter zu machen. Es stand
bei der Schaffung des Tarifes von vornherein
in gewissen Kreisen fest, die Klausel nicht praktisch
werden zu lassen; und so hat man denn auch,
um ihre Anwendungsmöglichkeit einzudämmen,
die Zustimmung der beiden Häuser des Kon
gresses vorgeschrieben, während sonst nur der
Senat beim Abschluß von Staatsverträgen mitwirkt.
Es war mit unendlichen Schwierigkeiten ver
knüpft, den kubanischen Reziprozitätsvertrag durch
die beiden Häuser durchzusteuern, diesen Vertrag,
der der Union so günstig ist, wie nur einer sein
kann, indem er ihr ausschließliche Zollvergünsti
gungen einräumt. Drohte schondieserVertragmehr-
mals zu scheitern, so ist dieses Schicksal einem
größeren Tarifabkommen der Union mit Deutsch
landvorläufig genau so sicher wie es das Abkommen
der Union mit Frankreich vom Jahre 1899 traf.
Mit einem Worte: eine Änderung des ameri
kanischen Tarifes für Textil-, Glas-, Porzellan-,
Leder-, Papier-Produkte usw., sei es auf autonomem,
sei es vertraglichem Wege, steht bei der derzeitigen
Zusammensetzung des Kongresses nicht so bald
in Aussicht; die Möglichkeit, mit der Union zu
einem größeren Tarifvertrag im Stile unserer
Abmachungen mit Rußland, Italien, Österreich-
Ungarn usw. zu gelangen, scheidet vorerst
unseres Erachtens aus.
B.
Als zweite Möglichkeit käme ein unbe
dingter Meistbegünstigungsvertrag in Be
tracht, dergestalt, daß beide Teile sich gegen
seitig ohne weiteres alle Vergünstigungen ein
räumen, die sie dritten Staaten gewähren.
Wir glauben, daß auch diese Eventualität
außer Ansatz bleiben muß, und zwar aus folgenden
Gründen:
1. Es ist nicht anzunehmen, daß die Ameri
kaner einen unbedingten Meistbegünstigungsvertrag
mit uns schließen wollen.