ALLGEMEINE EINLEITUNG
den Erwerbsgesellschaften begünstigender Bestimmungen. Im
Laufe der Entwicklung vertieft sich das Verständnis für die Ver-
antwortung des Staates hinsichtlich der Wahrung der Volksgesund-
heit und der nationalen Wohlfahrt. Das führt zur geldlichen
Unterstützung der Hilfsvereine auf Gegenseitigkeit.
So gewinnt das von der öffentlichen Gewalt moralisch und
praktisch unterstützte Hilfsvereinswesen im letzten halben Jahr-
hundert eine erhebliche Ausdehnung. In vielen Ländern werden
tausende, mitunter sogar zehntausende Versicherungsträger ins
Leben. gerufen, welche Millionen. von Mitgliedern zählen. So
sehr auch die von dieser Betätigung des Gedankens der freien
Solidarität erreichten Erfolge zu bewundern sein mögen, so kann
man im allgemeinen doch keine in jeder Hinsicht befriedigende
Lösung der sozialen Frage von ihnen erwarten.
Der Mitgliederstand der Hilfsvereine bleibt verhältnismässig
gering. Eine 50jährige Arbeit hat in vielen Ländern doch schliess-
lich nur einen ziemlich kleinen Bruchteil der lohnbeziehenden Be-
völkerung für den Hilfsverein gewonnen. Viele Arbeiter versichern
sich nicht. Ein Teil von ihnen will sich aus psychologischen
Gründen nicht versichern, ein anderer Teil kann es nicht, weil
die Einnahmen zu gering sind. Besonders die geringer entlohn-
ten Arbeiter treten den Hilfsvereinen nicht bei. Sie sind eben
genötigt, ihre ganzen oder doch fast ihre ganzen Einnahmen der
Deckung augenblicklicher Bedürfnisse zuzuführen und dabei ist
gerade bei ihnen die Erkrankungsgefahr besonders gross.
Nicht günstig wirkt auch die grosse Zahl der Hilfsvereine,
Die kleinen schiessen zu sehr ins Kraut; weil sie nur eine sehr be-
schränkte Mitgliederzahl haben, ist ihr Bestand dauernd gefährdet.
Jedenfalls erscheinen sie nicht besonders geeignet für die Versiche-
rung gegen langandauernde Krankheiten oder Invalidität. Ihre
‚äumliche Verteilung in den einzelnen Staaten hat einen anar-
chischen Charakter. In grossen Städten findet man hunderte
kleiner Vereine, in ländlichen, dünn bevölkerten Bezirken dagegen
fehlen. sie vielfach überhaupt. Die Zersplitterung der Mitglieder-
schaft führt zu Unzulänglichkeit und zu Doppelarbeit. Dadurch
aber wird der soziale Wert der freien. Versicherung herabgedrückt.
Ferner bleiben die Einnahmen derartiger Hilfsvereine recht gering.
Die von den Mitgliedern beschlossenen Beiträge sind niedrig, und
selbst wenn ein Staatszuschuss geleistet wird, genügen die Ein-
nahmen nicht zur Gewährung der für die Abdeckung der Risiken
notwendigen Versicherungsleistungen.
14