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liche Kenntnisse von der Wirtschaft haben. Ist das überhaupt mög-
lich? In primitiver Zeit ja: Aristoteles, Thomas von Aquino
und die anderen großen Scholastiker konnten das Wirtschaftsleben
noch überblicken und haben uns deshalb auch das Beste zum Thema
der Wirtschaftsphilosophie gesagt, das wir bis heute besitzen. Aber
in unserer Zeit? Welchem Philosophen ist es zuzumuten, daß er in
die Geheimnisse des Terminhandels und der Konzernbildung und der
Konjunkturgestaltung so eindringt, daß jer darüber fachmännisch
einwandfreie Urteile fällen kann? Es genügt auch nicht, damit man
Wirtschaftsphilosophie treiben könne, um die Grundsätze der Wirt-
schaft allein zu wissen. Man muß ihr Getriebe kennen. Und diese
Kenntnis sich nebenbei anzueignen, übersteigt fast das menschliche
Können. Deshalb sind auch die Äußerungen, die unsere großen Philo-
sophen über die Wirtschaft getan haben, fast durchgängig von einer
fast kindlichen Einfalt: von Kant, Fichte, Hegel angefangen bis
zu Nietzsche. Die einzigen, neueren Philosophen von Rang, die
gründliche wirtschaftliche Kenntnisse besaßen, sind, soviel ich sehe,
Eduard von Hartmann und Max Scheler, denen wir denn auch
wertvolle wirtschaftsphilosophische Aufschlüsse verdanken. Ein
Mann, der eine Wirtschaftsphilosophie großen Stils hätte schreiben
können, war Max Weber. Aber ihn haben daran doch wohl letzten
Endes sein Kritizismus und Skeptizismus gehindert.
Da, wie wir gesehen haben, die Vertreter einer richtenden National-
ökonomie heute noch nicht ausgestorben sind, so wird auch in der
Gegenwart Wirtschaftsphilosophie in allen den Spielarten weiter ge-
trieben, die die richtende Nationalökonomie aufweist: der scholasti-
schen (Spann und die katholischen Nationalökonomen), der harmo-
nistischen (vor allem die Marxisten) und der rationalistischen (z. B.
Rud. Stolzmann). Was zu wünschen ist, ist die Einsicht dieser
Wirtschaftsphilosophen, daß sie als solche nicht Nationalökonomen
sind. Wenn z. B. Spann jetzt seine Ansichten über die richtige Wirt-
schaft auch Wirtschaftsphilosophie nennt!* und sie nicht mehr als
wissenschaftliche Nationalökonomie ausgibt, so erachte ich dies für
14 Siehe Othmar Spann, Gesellschaftsphilosophie im Handbuch der Philo-
;ophie, herausgegeben von A. Bäumler und M. Schröter. Abt. IV. 1908
Auch separat erschienen.