Full text: Die Alters- und Invaliden-Versicherung

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Schwieriger ist es, aus dieser Zahl zu ermitteln, wie viele 
dnrch's Alter hülfsbedürftig werden, denn bei einer Volksklasse, welche 
sich ihren Unterhalt lediglich durch körperliche Arbeit erwirbt, wird das 
Lebensjahr, in welchem die Arbeitskraft zu schwinden beginnt, sehr 
verschieden angenommen, je nachdem die Arbeit mehr oder weniger 
Kraftaufwand fordert, je nachdem sie unter der Einwirkung schädlicher 
Einflüsse und unter günstigen oder ungünstigen Lohn- und Verpflegungs- 
Verhältnissen stattfindet. England nimmt nach seinem Lcibrenten-Ge- 
setz, welches besonders den hochgelohnten, also besser verpflegten und 
daher meistens länger lebenden Arbeitern zu gute kommt, das 60. Jahr 
an, dagegen hat Belgien, dessen Altersversorgungsgesetz auch dem 
niedrig gelohnten Arbeiter helfen will, das 56., und Frankreich in 
seinem Gesetz sogar das 50. Lebensjahr als den Lebensabschnitt be 
zeichnet, in welchem die Arbeitskraft schon zum Teil verbraucht ist. 
Unsere Altersversicherung soll gleichfalls beide, die hoch und 
niedrig gelohnten Arbeiter berücksichtigen. Ob diese Arbeiter, von 
welchen ein Teil schon mit dem vollendeten 14. Jahre unter dem 
Wechsel von Regen und Sonnenbrand zu dienen beginnt, noch im 
56. Jahre mit voller Kraft arbeiten können, wird am richtigsten auf 
Praktischem Wege ermittelt. Man frage bei den kleinen Besitzern und 
Bauern an, ob sie einen Knecht, oder eine Magd von 56 Jahren 
mieten, — man frage ferner die Hausfrauen der Mittelstände, ob sic 
ein Dienstmädchen von 56. Jahren in ihren Dienst nehmen? Die Ant 
wort wird meistens lauten: Sie haben nicht mehr die volle Arbeits 
kraft, welche unser Dienst fordert. Man kann zwar einen.Nachweis 
über alle männlichen und weiblichen Arbeiter des Reichs, welche nach 
vollendetem 55. Jahre wegen Altersschwäche von den Gemeinden Unter 
stützung erhalten, zusammenstellen, aber dieser Nachweis würde nicht 
die volle Zahl aller wirklich Unterstützungsbedürftigen einschließen, 
weil die Landgemeinden meistenteils nur solche Altersschwache unter 
stützen, welche im Greiscnalter stehen, oder als gänzlich arbeitsunfähig 
von Jedermann erkannt werden. Denn diejenigen, deren Arbeitskraft 
nicht ganz, sondern nur halb oder größtenteils verbraucht ist. — deren 
Muskelkraft nur schwächer, deren Bewegungen nur schwerfälliger und 
langsamer, deren Gelenke nur steifer und deren Gehör nur härter 
geworden, — also zu leichten Arbeiten noch verwendbar sind, diese 
werden von einer Unterstützung meistens ausgeschlossen. 
Unsere kleinen Grundbesitzer und Bauern, welche durch geringes 
Anlage-Kapital genötigt werden, die volle Arbeitskraft ihrer Leute 
in Anspruch zu nehmen, entlassen meistens solche Arbeiter, welche das 
55. Lebensjahr überschreiten, denn ihre kleinen Jahres-Einnahmen er 
huben ihnen nicht, mit geschwächten, schwerfälligen und langsamen 
Kräften zu wirtschaften. Diese sind daher genötigt, eine ihrem Kraft 
maß entsprechende leichtere Arbeit zu suchen, also zu wandern. 
Auf diesem praktischen Wege gelangen wir zu der Ueberzeugung, 
daß in Deutschland die Arbeitskraft bei den ländlichen Arbeitern 
mit dem vollendeten 55. Lebensjahre zum Teil verbraucht ist. Wenn 
wir ferner bedenken, daß in dem benachbarten Belgien, wo die über- 
* Auch die Dänische Regiemng hat das Lebensjahr in seinem Gesetzentwurf 
über Altersversorgung angenommen.
	        
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