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Das Geburtenproblem ist heute überhaupt
noch recht ungeklärt. Während man auf der einen
Seite über Ueberbevölkerung klagt und Hundert-
tausende in die Fremde ziehen läßt, jammert man
gleichzeitig über Geburtenrückgang, der übrigens
im allgemeinen durch einen erheblichen Sterblich
keitsrückgang kompensiert wird. Letzterer geht
auf verschiedene Momente zurück, unter anderem
auch auf die Fortschritte der Hygiene und der
Medizin.
Die Ursachen des heute zu beobachtenden
Geburtenrückgangs, der vor allem in den Städten
auftritt, aber auch auf dem Lande anzutreffen ist,
sind mannigfacher Art. Zum Teil dürfte auch eine
Abnahme der Zeugungsfähigkeit in manchen Ge
sellschaftsklassen eine gewisse Rolle spielen, vor
allem aber die absichtliche Verhinderung der Be
fruchtung durch bestimmte Methoden des Ge
schlechtsverkehrs oder durch Präventivmittel. Auf
dem Lande spielt besonders die Abtreibung eine
erhebliche Rolle, die aber auch in den Städten
etwas sehr Häufiges ist. Von großer Bedeutung
sind auch die Geschlechtskrankheiten, welche die
Fortpflanzungsfähigkeit sehr schädigen. Ein großer
Teil der Ehen ist dadurch kinderlos, daß der
Mann die Frau mit Tripper infizierte.
Im allgemeinen sind die wohlhabenderen und
rationeller lebenden Kreise am meisten geneigt,
durch geeignete Maßnahmen die Kinderzahl ein
zuschränken, um so den Lebensstandard der
Kinder aufrechterhalten zu können. Die Ein
kommen des Mittelstandes, insbesondere der
Beamtenschaft, sind so niedrig, daß eine Familie
schwer mehr als drei Kinder aufziehen kann, wenn
die Ausbildung der Kinder nicht Zurückbleiben
soll. Familien mit vier, fünf Kindern haben bereits
mit Schwierigkeiten zu kämpfen, wenn die Väter
nicht hohen Rangsklassen angehören. Die ärmeren
Kreise leben vielfach dumpf dahin, bekommen
Kinder und lassen sie massenhaft dahinsterben.
Sie überlegen wenig, auch erfordern alle Prä
ventivmaßregeln Aufmerksamkeit und Disziplin.
Dafür kommen unter Arbeiterinnen Fruchtabtrei
bungen recht oft vor. Aber auch bei Bauern spielt
die absichtliche Geburtenverringerung keine ge
ringe Rolle. Ich kenne ein niederösterreichisches
Dorf, in dem die Bauern nur solange Kinder be
kommen sollen, bis der Erbsohn geboren ist, uiu
auf diese Weise das Vermögen immer in einer
Hand zu belassen.
Neben den bisher erwähnten Reserven gibt
es auch Reserven an Erfindungen und Erfindungs
kraft, die im Kriege Verwendung finden können.
Es gibt eine Menge von Erfindungen, die im
Frieden nicht verwendet werden, weil sie sich
nicht rentieren. Wir sehen zum Beispiel die Hebe
maschinen wenig in Benützung. Ein großer Teil
der Transporte von Kisten, Möbeln, Steinen usw.
wird mit Muskelkraft vorgenommen. Wenn man
die Fülle von Erfindungen mit Technik, die
Häufigkeit der Verwendung mit Technizität be
zeichnet, so muß man sagen, daß in unserem
Zeitalter die Technik zwar sehr weit fortgeschritten
ist, nicht aber die Technizität. Die Alten hatten
zwar weniger Erfindungen, sie nützten dieselben
aber alle aus. Wenn im Kriegsfall die Zahl der
Arbeitskräfte abnimmt und bestimmte Import
artikel verschwinden, kann es leicht zur Ver
wendung schon bekannter Erfindungen kommen,
die bisher nicht in Gebrauch genommen wurden.
Eine Gesellschaft für Apparatenbau in Mainz be
richtet zum Beispiel, daß sie infolge des Ab
ganges von Arbeitern genötigt war, neue vorher
nicht gekannte Hilfsmaschinen anzuschaffen.
Aber auch die Erfindungskraft selbst wird in
Kriegszeiten durch die Not oft geschärft. So
wurde zum Beispiel die Rübenzuckerfabrikation
während der Kontinentalsperre eingeführt. Na
poleon I. setzte eigens Preise für die Erfindung
neuer-industrieller Maschinen aus. Und es wurden
denn auch eine Reihe von Erfindungen gemacht
und ausgenützt. Man kennt zwar die Größe dieser
Reserve an Erfindungskraft nicht, aber man muß
sie auch in Rechnung stellen. Die Erfindungs
reserven kann man aus den Patentpublikationen
zum Teil entnehmen, und es wäre im Interesse
der Kriegsbereitschaft gelegen, im vorhinein fest
zustellen, welche Erfindungen im Falle einer Ab
sperrung des Landes vom Weltverkehr verwendet
werden könnten. Es gibt viele Maschinen, die
zwar teurer, aber dennoch in brauchbarer Qualität
Surrogate für wichtige Importartikel zu erzeugen
vermöchten. Sie dürften im Falle eines Weltkrieges
vor allem wohl Verwendung finden.
Zu den bisherigen Reserven kommen noch
die Rohstoffreserven. Es gibt Bergwerke, die in
Friedenszeiten auszunützen nicht rentabel ist. Es
gibt, wie wir schon erwähnten, Land, das für
Ackerbau und Viehzucht in Friedenszeiten nicht
Verwendung findet. All diese Reserven kommen
natürlich für den Kriegsfall in Betracht.
Auf die Warenreserven, insbesondere auf die
Lebensmittelreserven, werde ich noch zurück
zukommen haben. Sie werden in Friedenszeiten
im allgemeinen sukzessive aufgebraucht. Nur
Waffenreserven und ein Teil der Sanitätsreserven
gehen in Friedenszeiten langsam zugrunde und
müssen erneuert werden.
Von ganz anderer Bedeutung sind die Geld
reserven. Soweit es sich um Inlandsgeldreserven
handelt, sind sie von geringer Bedeutung, da es
ein Verwaltungsproblem ist, ob man die Kriegs
mittel im Inlande durch Kauf oder durch Requi
sition beschafft. Es ist auch denkbar, daß die
Geld- und Kreditordnung im Kriegsfälle über
haupt suspendiert werden muß. Die Auslands
geldreserven repräsentieren Forderungsrechte an
das Ausland, ihre Verwertung hängt wesentlich
von der politischen Situation ab. Auch diesen
Reserventypus werden wir eingehend zu be
sprechen haben.
Die Ausführungen über die ungenügende
Ausnützung der produktiven Kräfte könnte leicht