Full text: Die Berliner Arbeiterbewegung von 1890 bis 1905

Dem Jenaer Parteitag der deut 
schen Sozialdemokratie war der erste 
Parteitag der sozialdemokra 
tischen Partei Preußens voraus 
gegangen, der vom 28. bis 31. De 
zember 1904 in Berlin tagte und von 
148 Delegierten besucht war. Dieser 
Parteitag faßte nach Referaten von 
Lugo Leimann, Art. Stadt 
hagen, Leo Arons und Georg 
Ledebour Beschlüsse über einen 
Wohnungsgesetz-Entwurs der 
Regierung und einen Gesetzentwurf 
dieser gegen kontraktbrüchige Ar 
beiter, über ein Schulgesetz- 
Programm, sowie über die Frage 
des Kampfes für das gleiche 
Wahlrecht in Preußen. Die 
Parteivertretung von Groß-Berlin 
wurde beauftragt, spätestens 1906 
einen zweiten preußischen Parteitag 
einzuberufen und diesem Vorschlage 
für eine Landesorganisation dcrSozial- 
demokratie Preußens zu unterbreiten. 
3. Die letzten Jahre der Ära Caprivi. 
Wir kehren nunmehr zur Schilderung des allgemeinen Ganges der 
Politik im Reich und in Preußen zurück. 
Am 6. Mai 1893 lehnte der Deutsche Reichstag mit 210 gegen 162 
Stimmen eine Militärvorlage der Regierung ab, die für die Einführung 
der zweijährigen Dienstzeit eine Erhöhung der Friedenspräsenzstärke um 
nahezu 100 000 Mann verlangte, sowie einen Vermittelungsantrag des 
Zentrumsabgeordneten von Lucne, der die Erhöhung auf 70 000 Mann 
gebracht hätte, worauf die Regierung den Reichstag auflöste und auf 
den 15. Juni 1893 Neuwahlen ausschrieb. In dem nun sich abspielenden 
Wahlkamps wurden von Seiten der Gegner der Sozialdemokratie die 
Broschüren Eugen Richters, worin dieser den Sozialismus als unmöglich 
hinzustellen suchte, in vielen Lunderttausenden verteilt, während von sozial 
demokratischer Seite, neben anderen Agitationsschriften, das Stenogramm über 
Reichstagsverhandlungen vom Januar und Februar 1893 über den Zu 
kunftsstaat der Sozialdemokratie, bei denen diese und die gegnerischen 
Parteien ihre Lauptredner ins Feld geschickt hatten, in hunderttausend 
Exemplaren verbreitet wurde. Das Resultat war, daß die Sozialdemokratie 
ihre Stimmen von 1 427 000 auf 1 787 000 vermehrte und 44 Vertreter 
in den Reichstag entsandte, während sic 1890 nur 35 Abgeordnete durch 
gebracht hatte. In Berlin eroberte die Sozialdemokratie zum vierten und 
sechsten noch den zweiten, dritten und fünften Wahlkreis und vermehrte 
ihre Stimmen von 126 000 auf 151 000. Sonst aber ergaben die 
Wahlen eine für die Leeresvorlagen der Regierung günstigere Zusammen-
	        
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