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bedeute. Die sozialdemokratischen Stadtverordneten haben es von Anfang
an für verkehrt erklärt, sich auf solche Weise selbst die Lände zu binden.
Ein unbeschränktes Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde gibt es in Preußen
überhaupt nicht, und vielen Beschränkungen ihrer Verwaltungsfreiheit hat sich
die Stadt Berlin widerstandslos gefügt. Außerdem aber heißt es sachlich
schon auf sein Recht der Ansehung einer höheren Steuerrate verzichten,
wenn man im Linblick auf die mögliche Einmischung der Behörde sich an
eine fixierte Grenze bindet. Das Recht, sein Gefängnis nicht verlassen zu
müssen, macht aus einem Gefangenen noch keinen freien Menschen. Erst
wenn er nach Belieben ein- und ausgehen kann, ist er wirklich frei. Wollte
die Stadtverordnetenversammlung ihr unbeschränktes Ausgabenrecht feststellen
oder erkämpfen, so müßte sie durch die Tat zeigen, daß die 100 Prozent-
Grenze für sie keine Schranke bilde, und das Weitere kampfbereit abwarten.
Sie hat aber das Gegenteil getan — die Einen aus Angst vor einem
ernsthaften Konflikt, die Andern, weil ihnen diese Beschränkung in der
Frage der Einkommensteuer gerade recht ist, und bei den Meisten wird
beides zusammenwirkend das bestimmende Motiv bilden. Am so weniger
konnte die Sozialdemokratie das Spiel mitmachen, und so hat sie wiederholt
ihre Stimme dafür erhoben, die Einkommensteuer auf über 100 Prozent
der Staatssteuer anzusetzen. In diesem Punkt war der Widerstand der
Freisinnigen jedoch „eisenfest".
Ein anderer Kampf der Sozialdemokratie in der Steuerftage richtete
sich gegen die Erhebung der Einkommensteuer von den Zensiten mit unter
900 Mark Einkommen. Lier war der Widerstand der Mehrheit lange
Zeit fast ebenso hartnäckig und wurde mit ebenso formalistischer Auslegung
eines Prinzips begründet, als in der Frage der Zuschlagsrate. Befreiung
von der Steuer bedeute Aufhebung des Anspruchs auf das Wahlrecht,
mit dieser Erklärung lehnte man es wiederholt ab, auf Erhebung der Steuer
von denen zu verzichten, die noch nicht einmal das Nötigste zum Leben
haben. Aber die Arbeitervertreter ließen nicht locker, und da es für diesen
Fall kein Staatsgeseh gab, das die Rolle des Tischs übernahm, unter den
man „grundsätzlich" kriechen konnte, um seine Anabhängigkeit zu beweisen,
der Staat vielmehr seinerseits die Einkommen unter 900 Mark ruhig von
der an ihn zu zahlenden Steuer befreit hatte, gelang es schließlich doch,
den Widerstand der bürgerlichen Stadtverordneten zu brechen. Eine Minder
heit kam zu der Ansicht, daß inan sich in Punkto Rücksicht auf die Armen
nicht vom Staat beschämen lassen dürfe, und am 24. März 1902 wurde
in namentlicher Abstimmung mit 49 gegen 43 Stimmen eine Resolution
angenommen, wonach vom 1. April 1903 ab auch die städtische Einkommen
steuer für Einkommen bis zu 900 Mark nicht mehr erhoben wird. Die
Vertreter der Arbeiter konnten einen Sieg verzeichnen.
Auch in der Frage der Besteuerung des Bodens nach dem gemeinen Wert
drang die von den Sozialdemokraten verfochtene Auffassung nach vielen
Kämpfen durch, dagegen hat in der Frage der Wertzuwachssteuer der
Widerstand des durch das Wahlsystem gedeckten städtischen Agrariertums
bisher noch nicht endgültig besiegt werden können.
Mit großer Energie kämpfte die Sozialdemokratie von Anfang an für
den Punkt ihres Kommunalprogramms, der den Betrieb gewinnbringender
Anternehmungen durch die Stadt verlangte. Lier war ein nicht minder