Full text: Die Berliner Arbeiterbewegung von 1890 bis 1905

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sich anfangs ablehnend verhalten und dann etliche Abmilderungen im 
Bundesrat durchgesetzt hatte. Der alte Militär merkte, was die Glocke 
geschlagen hatte, und reichte seine Entlassung ein, die ihm auch unverzüglich 
bewilligt wurde. Die Ära Caprivi hatte ihr Ende gefunden. 
4. Unter der Schaukelpolitik des Chlodwig Hohenlohe. 
Caprivi war den Gegenminen der Eulenburg und Miquel erlegen, 
aber die Sieger sollten mit leeren Länden ausgehen. Als Eulenburg, wie 
die Form dies vorschrieb, gleichzeitig mit Caprivi um seine Entlassung ein 
kam, nahm Wilhelm II. auch sie an, und statt Miquels, in dem manche 
schon den Nachfolger Caprivis erblickt hatten und der sich auch mit 
den Agrariern gut zu stellen verstand, ward der fünfundsiebzigjährige 
Fürst Chlodwig Lohenlohe-Schillingsfürst Reichskanzler. Der 
kluge Aristokrat, der bis dahin Statthalter von Elsaß - Lothringen gewesen 
war, bedang sich indes aus, Reichskanzler und preußischer Minister 
präsident in einer Person zu sein. So war er wenigstens nach einer 
Seite hin vor Gegenminen gesichert. Im übrigen zeichnete sich seine 
Amtsführung durch die Tendenz aus, möglichst nach keiner Seite hin 
anzustoßen und die Stürmer und Dränger durch Hinhalten wenigstens zeit 
weise unschädlich zu machen. Die Agrarier erhielten zwar ihre wieder 
holt beantragte Verstaatlichung des Getreidehandels nicht, auch auf die 
verlangte Einführung der Doppelwährung — die verkappte Silberwährung — 
mußten sie verzichten, dafür aber ward ihnen ein Börsengesetz zuteil, das 
die Effektenbörse und noch mehr die Produktenbörse verkrüppelte, zu 
gleich jedoch Mitursache wurde, daß der Bankdiskont sich in Deutschland in 
der Regel merkbar höher stellte als in England und Frankreich und die Groß 
banken in fabelhaft raschem Wachstum auf Kosten der kleinen und mittleren 
Bankiers an Ausdehnung und Macht zunahmen. Des weiteren erhielten 
sie neue Geschenke auf dem Gebiete der Branntwein- und Zuckersteuer- 
gesehgebung, Slaatshilfe in Gestalt der Zentralgenossenschafts 
kasse für den Personalkredit und von staatlich subventionierten Korn- 
(Lager-)Läusern, sowie ein Fleischbeschau-und Seuchengesetz, das 
faktisch einem Schutzzoll auf Vieh- und Viehprodukte gleichkam, über 
flüssig zu sagen, daß sie mit diesen Zuwendungen durchaus nicht zufrieden 
waren, sondern munter weiter „schrieen". 
Den Großen der Jndusttie, die gleichfalls nicht locker ließen, wurde im 
Juni 1896 der ihnen verhaßte Lerr von Berlepsch geopfert, der unter 
andcrm das Verbrechen begangen hatte, im Februar 1896 den Streik der 
Arbeiter der Wäsche- und Kleiderkonfektion in Berlin für gerechtfertigt zu 
erklären, und in einer Verordnung über Bäckereien eine Mindestruhe für 
Bäckergesellen vorzuschreiben; er ward durch den farblosen Brefeld ersetzt, 
der es indes den Lerren auch nicht recht machen konnte. Noch schlimmer sollte 
es ihnen mit dem Grafen von Posadowsky-Wehner ergehen, der ein Jahr 
später anstelle des Lerrn von Bötticher Staatssekretär des Innern wurde. 
Man könnte sagen, daß ein Minister, der es nur einigermaßen mit seinem 
Amt ernst nimmt, für die kapitalistischen Scharfmacher verloren ist, sobald 
er sich genauer mit den Verhältnissen der Industrie und der Lage der 
Arbeiter bekannt gemacht hat. Der Anfang des Grafen von Pos« ow y 
schien allerdings den Erwartungen der Scharfmacher zu entsprechen.
	        
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