Full text: Die Berliner Arbeiterbewegung von 1890 bis 1905

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71,8 Millionen Mark, für 1894/95 waren 78,5 Millionen angesetzt. 
Caprivi wie auch der damalige Staatssekretär des Marineamts Lollmann 
hatten wiederholt der Ansicht Ausdruck gegeben, daß Deutschlands Küsten 
hinlänglich geschützt seien und ein Bedürfnis, im Flottenbau mit irgend 
einer auswärtigen Großmacht in Konkurrenz zu treten, nicht bestehe. Das 
sollte nun indes anders werden. Jetzt agitierten die Kolonialchauvinisten 
und Englandfresser — was in Deutschland so ziemlich auf das gleiche 
hinausläuft —, mit aller Macht für den Bau von mehr Kriegsschiffen, 
und von oben ward dieser Agitation jeder mögliche Vorschub geleistet. 
Wilhelm II. hielt den Führern der regierungsfähigen Parteien, zu denen 
jetzt das Zentrum gehörte, Vorträge über die Notwendigkeit, die Flotte 
auf einen bedeutend höheren Stand zu bringen, ließ in der Wandelhalle 
des Reichstags bildliche Darstellungen der Flottenverhältnisse der Äaupt- 
länder ausstellen und nahm verschiedene Gelegenheiten wahr, in Ansprachen 
bei Festakten und dergleichen seinem Verlangen nach mehr Kriegsschiffen 
Ausdruck zu geben. Die Agitation steigerte sich, als 1895 das Glückwunsch 
telegramm des Kaisers an den Präsidenten Krüger wegen der Nieder 
schlagung des Iamesonschen Einbruchs in den Transvaal die Beziehungen 
zwischen England und Deutschland erheblich verschlechtert hatte. Der 
Reichstag, dessen Mehrheit angesichts der Finanzlage des Reichs keine 
große Neigung hatte, auf einen uferlosen Flottenplan sich einzulassen, 
wurde eine zeitlang vom Staatssekretär des Äußeren, Freiherrn von Marschall, 
und dem Marinesekretär Lollmann abwechselnd mit Beteuerungen über 
schüttet, daß die Regierung durchaus nicht die Flotte übermäßig vermehren 
wolle. So ließ man sich zu allerhand kostspieligen Bewilligungen herum 
bekommen, bis im Frühjahr 1897 eine Denkschrift Lollmanns, laut der außer 
dem Geld für schon bewilligte Schiffe in den nächsten vier Zähren für Schiffs 
bauten eine viertel Milliarde an Kosten nötig werden würde, dem Zentrums 
führer Dr. Lieber den Schmerzensruf entlockte, er fühle sich als „blamierter 
Europäer". Äollmann aber, dem der Reichstag von seinem Schiffsprogramm 
für 1897/98 einige Schiffe strich, ging, um dem Kontreadmiral Tirpitz 
Platz zu machen, von dem schon im Sommer 1896 das Gerücht umlief, 
daß er dem Kaiser einen noch kostspieligeren Flottenplan unterbreitet habe. 
Auch Freiherr von Marschall, der letzte hervorragende Mitarbeiter Caprivis, 
schied aus seinem Amt und wurde durch den Freiherrn Bernhard von 
Bülow, bis dahin Botschafter in Rom, ersetzt, der einen den Flotten 
schwärmern angenehmeren Ton auf der Ministerbank anzuschlagen wußte. 
Die Reichstagsmehrheit ihrerseits, der der Kaiser im Frühjahr 1895, 
als sie sich weigerte, ein Glückwunschtelegramm an Bismarck zu dessen 
80. Geburtstag abzusenden, in einem Telegramm an eben diesen Bismarck 
seine „tiefste Entrüstung" kundgegeben hatte, bekam nun in einem Tele 
gramm des Kaisers an den Prinzen Heinrich, das, wie jenes erste, als 
bald veröffentlicht wurde, ein Wort zu hören, von „vaterlandslosen Ge 
sellen, die die Beschaffung der für das Deutsche Reich notwendigen Kriegs 
schiffe zu hintertteiben wissen". Etliche Wochen später gebrauchte der 
Kaiser auf einem Festmahl bei einer Denkmalsenthüllung in Köln das Wort 
„Der Dreizack (des Meergottes) gehört in unsere Faust". Noch im 
gleichen Zahr ward ein Kriegsschiff nach Haiti entsandt, um Sühne für 
das verletzte Recht eines Deutschen einzuholen. Dann aber gab die Er-
	        
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