Full text: Die Berliner Arbeiterbewegung von 1890 bis 1905

Elftes Kapitel. 
Der große Bierboykolt von 1894. 
Braugewerbe Berlins hatte sich unter dem Einfluß des Wachs- 
S3 7 tums der Hauptstadt, der zunehmenden Ausdehnung des Konsums 
untergäriger Biere und der abwechselnd als Arsache und Wirkung 
damit in Zusammenhang stehenden Steigerung des kapitalistischen Betriebs 
der Brauerei ganz außerordentlich entwickelt. Gegen das Jahrfünft von 
1874/78 war im Jahrfünft von 1889/93 die Produktion von obergärigem 
Bier — hauptsächlich Weißbier — in Berlin um die Hälfte, die von 
untergärigem Bier aber auf das Doppelte — von 1 016 000 auf 2 110 000 
Hektoliter — im Jahr gestiegen. Aus verhältnismäßig kleinen Brauereien 
waren kapitalistische Unternehmungen ersten Ranges geworden, die ihren 
Absatz weit in die Provinz hinein ausdehnten, über große eigene Aus 
schanklokale und durch Pachtverträge aller Art noch über einen Heerbann 
von unzähligen größeren und kleineren Gastwirtschaften verfügten. An 
erster Stelle dieser modernen Brauereien Berlins marschierte die Schultheiß- 
Brauerei, deren Leiter, der damals wild-liberale Abgeordnete Richard 
Roesicke, großes geschäftliches Geschick mit sozialpolitischen Neigungen ver 
band und an der Spitze eines 1890 gegründeten „Vereins der Brauereien 
Berlins und der Amgegend" stand, dem 33 Brauereien angehörten. Eine 
zweite zu großer Bedeutung emporgekommene Brauerei, die Brauerei 
Patzenhofer, hatte gleichfalls einen freisinnigen Politiker zum Direktor, 
den Dr. Karl Goldschmidt, der vorübergehend dem Reichstag angehört 
hatte und in der hier zu behandelnden Zeit Mitglied des Abgeordneten 
hauses war. 
Die kapitalistische Entwicklung hatte selbstverständlich die Technik des 
Vrauereibetriebs nicht unberührt gelassen. Bedeutende Amwälzungen 
hatten sich vollzogen, und sie hatten für die beschäftigten Arbeiter eine 
Abnahme der regelrecht angelernten Brauereigesellen im Verhältnis zu den 
Hilfs- und Nebcnarbeitern zur Folge gehabt. Doch war, da die Brauereien 
von Jahr zu Jahr ihren Betrieb vergrößerten, trotzdem auch die Zahl der 
ersteren gestiegen, nur war sie von der Zahl der Hilfsarbeiter sehr stark 
überflügelt worden. 1894 standen in Berlin rund 1200 Brauergesellen 
über 3000 Brauereihilfsarbeitern aller Art gegenüber. Die Lohnverhältnisse 
hatten hier gleichfalls unter der kapitalistischen Entwicklung keine Ver 
schlechterung erfahren. Die Brauergesellen hatten, dank der steigenden Nach
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.