Full text: Die Berliner Arbeiterbewegung von 1890 bis 1905

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nicht weniger als das Recht, Vereine oder Versammlungen, deren „Zweck 
oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft oder die öffentliche Sicher 
heit, insbesondere die Sicherheit des Staates oder den öffentlichen 
Frieden gefährdet", aufzulösen, bezw. zu schließen. Mit diesen Kautschuk 
bestimmungen hätte es ganz von dem guten Willen der Regierung ab 
gehangen, jeder Oppositionspartei, ob bürgerlich oder sozialistisch, das 
Wirken in geregelten Vereinen unmöglich zu machen, zumal Beschwerden 
nicht vor den ordentlichen Gerichten, sondern im Verwaltungsstreit 
verfahren ihre Erledigung finden sollten. Daß dieses ungeheuerliche Gesetz 
noch nicht ein Jahr später im preußischen Landtag hatte eingebracht werden 
können, nachdem im deutschen Reichstag der Reichskanzler die Freigabe 
der Verbindung politischer Vereine für das ganze Reich in Aussicht gestellt 
hatte, und daß dieses Gesetz, welches die Freigabe der Verbindung politischer 
Vereine zum blutigsten Lohn geinacht hätte, sehr nahe daran war, im 
Landtag angenommen zu werden —seine Ablehnung kam schließlich mit 
nur vier Stimmen Mehrheit zustande! — dieser Vorgang war es, der in 
der Stellung der Sozialdemokratie zur Frage der preußischen Landtags 
wahlen eine vollständige Amwälzung zustande brachte. Run erkannte ein 
großer Teil ihrer führenden Vorkämpfer, Auer und Bebel voran, daß die 
bis dahin gepflegte Enthaltungspolitik nicht mehr fortgesetzt werden dürfe, 
sondern daß man, statt in Presse und Versammlungen zu protestieren, dem 
Landtag direkt zu Leibe gehen müsse, und es kamen nach lebhaften Debatten 
in Presse, Versammlungen und Komitees die bezüglichen weiter oben ver 
zeichneten Beschlüsse der Kongresse von Lamburg und Stuttgart zustande, 
welche die Beteiligung der Sozialdemokratie an den Landtagswahlen in 
Preußen zur Folge hatten. 
Im Spätherbst 1897 legte Lerr Tirpitz seinen Flottenplan dem Reichs 
tag vor. Danach sollten nicht weniger als 7 neue Linien- (Schlacht-) 
Schiffe, 2 große und 7 kleine Kreuzer zu den schon bewilligten Schiffsbauten 
hinzukommen, neben allerhand Ersatzbauten und Verstärkungen des Torpedo 
bootbestandes, dazu sollte das Friedenspersonal der Flotte um nahezu die 
Lälste, nämlich von 18 138 auf 26 637 Mann, erhöht werden. Für die 
Fertigstellung der Bauten waren 7 Jahre vorgesehen. Das alles wurde vom 
Reichstag bewilligt; mit Ausnahme der Bayern und eines halben Dutzend 
anderer Widerspenstigen stinnnte das Zentrum für die Vermehrung, die die 
einmaligen Ausgaben für die Flotte um nicht weniger als 408 Millionen 
Mark erhöhte und für die fortdauernden Ausgaben des Marineetats eine 
Steigerung von jährlich 49 Millionen Mark vorsah. Ja, man ging so 
weit, die Periode für die Bauten auf ein Jahr weniger anzusetzen, als die 
Regierung verlangt hatte, nämlich auf sechs statt auf sieben Jahre, was 
die Ausgabe pro Jahr entsprechend erhöhte. And dies, obwohl es die 
Spatzen von den Dächern pfiffen, daß die Vorlage nur erst den Anfang 
des Programms der Regierung brachte. So sehr hatte die Stimmung 
umgeschlagen. Das Zentrum war Regierungspartei geworden. 
Am 28. März 1898 war die Schlußabstimmung über das Flotten 
gesetz erfolgt und am 6. Mai ward der Reichstag, dessen Mandat abge 
laufen war, geschlossen und der Termin für die Neuwahlen auf den 16. Juni 
1898 angesetzt. Der nun entbrennende Wahlkampf fand die Sozialdemokratie 
in jeder Linsicht gerüstet. Sie verfehlte nicht, der Arbeiterschaft klar-
	        
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