Full text: Finanzwissenschaft

1. Buch. Kinleitende Lehren. 
Unter den bedeutenden Schriften der Finanzwissenschaft muß 
auch dem bahnbrechenden Werke von Nebenius: „Der öffent- 
liche Kredit“ (Karlsruhe und Baden 1820) eine Stelle eingeräumt. 
werden. Die Fragen des Staatskredits theoretisch zu erörtern, 
dieselben mit den ökonomischen Verhältnissen in Beziehung zu 
setzen, die Rückwirkung des Staatskredits auf die ökonomischen 
und politischen Zustände, wie umgekehrt dieser auf den Staats- 
kredit zu untersuchen, diese Aufgabe als erster in eminenter Weise 
gelöst zu haben, ist das Verdienst von Nebenius. Die Unter- 
suchungen der Verhältnisse des Kapitalmarktes, der Geldsysteme, 
der Zwecke und Formen der öffentlichen Kreditgeschäfte, der Natur 
des Verkehrs in Staatspapieren, der Vor- und Nachteile des Staats- 
schuldenwesens haben die Erkenntnis von Wesen und Bedeutung 
des Staatskredits bedeutend gefördert. Wie wichtig und gerade 
für die Gegenwart nützlich ist der Hinweis darauf, daß die Leichtig- 
keit, bedeutende Kapitalien heranzuziehen, in erster Reihe auf dem 
großen Fortschritt in der Kunst zu produzieren (Öffentlicher Kredit, 
2. Aufl., S. 659) beruht. 
In der Literatur des Sozialismus vermissen wir eine systema- 
tische Erörterung der finanzwissenschaftlichen Probleme?!). Für 
den Kollektivismus sind dieselben zum Teil freilich aufgehoben, da 
ja der Staat als Besitzer aller Produktionsmittel seinen Bedarf selbst. 
deckt. Eine Reihe von Staatsaufgaben fällt überdies im sozialistischen 
Staate weg. Die sozialistische Literatur hat sich am meisten mit 
den sozialen Forderungen des Steuersystems befaßt: steuerfreies 
Existenzminimum, progressiver Steuerfuß, Besteuerung von Kapital 
und Vermögen überhaupt, Aufhebung der indirekten Besteuerung 
von notwendigen Existenzmitteln, Besteuerung des Wertzuwachses 
und Wegsteuerung des unverdienten Renteneinkommens, Single tax 
usw. Die Logik der Geschichte zeigt, wie wir sahen, daß die 
Steigerung der Befugnisse des Privateigentums in der Steuer als 
staatssozialistischem Prinzip ihr Gegengewicht findet. Umgekehrt 
müßte mit der Einschränkung der Prärogative des Privateigentums 
das steuerliche Prinzip eine Einschränkung erleiden. 
Blicken wir auf das Gesagte zurück, so sehen wir, daß die 
soziale Idee der Gegenwart in die Finanzwissenschaft und nament- 
lich in das Steuerwesen tief eingedrungen ist. Sie führt zur Um- 
ungarischer Schriftsteller kurz anzuführen: Kautz, Staatswirtschaftslehre oder 
Finanzwissenschaft. 4. Aufl. Budapest 1885. — Mariska, Handbuch der Staats- 
N che: Budapest 1899. — Földes, Staatshaushaltslehre. 2. Aufl, 
| !) Über Steuer und Staatsschulden als Erscheinungen des kapitalistischen 
Systems bei Marx, Kapital; Lassalle, Die indirekte Steuer (Zürich 1863). 
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