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Vorgeben „berechtigte Bestrebungen" zu vertreten, dem spießbürger
lichen Partikularismus Vorschub geleistet wird, was notwendig die
Zerstörung der Einheit der Partei zur Folge haben muß.
Die Versammlung protestiert ferner gegen den Artikel der „Mün
chener Post", der in Nr. 41 des „Sozialdemokrat" abgedruckt ist und in
dem es am Schluß wörtlich heißt: „Sollten die Verhältnisse der ein-
zelnen Länder aus taktischen Gründen zeitweise ein getrenntes
Marschieren notwendig machen, so werden wir unsere Gegner doch
immer vereint schlagen, und das scheint uns die Hauptsache zu sein."
Die Versammlung sieht in diesen Auslassungen das bewußte Be
streben, die Genossen der einzelnen Länder in künstlichen Gegensatz
zueinander zu bringen, das die schärfste Zurückweisung verdient."
Zur Rede Bebels, die in den bayerischen Parteiorganen sehr heftige
Erwiderungen hervorrief, in denen von einer „Schilderhebung Bebels" ge
sprochen wurde, ward überall in der Parteipresse Stellung genommen, und
ebenso beschäftigten sich eine Reihe von sozialdemokratischen Parteiver
sammlungen Berlins mit ihr. Während aber im Lande die Meinungen
geteilt waren, stellte sich Berlin fast einmütig auf die Seite Bebels. Nur
hier und da legten aus Süddeutschland stammende Genossen für ihre Lands
leute ein Wort ein.
Im Jahre 1895 spielte um die Zeit des Breslauer Parteitages die
Agrarfrage eine große Rolle in den sozialdemokratischen Parteiversamm
lungen Berlins. Es wird vor und nach dem Parteitag lebhaft über das
von der Agrarkommission der Partei entworfene Agrarprogramm diskutiert,
wobei die Gegner des letzteren stets in der großen Mehrheit sind. Ferner
tritt in diesem Jahre die Frage der Heranziehung der Frauen zur Agi
tation und zur Organisationsarbeit stärker in den Vordergrund. Im Jahre
1896 nimmt um die Zeit des Parteitages ein in der Redaktion des „Vor
wärts" spielender Konflikt das Interesse der Berliner Mitgliedschaften in
Anspruch. Wilhelm Liebknecht hatte einen in seiner Abwesenheit im „Vor
wärts" erschienenen Artikel, der sich gegen Max Quarck in Frankfurt am
Main richtete, öffentlich von sich abgewiesen und dadurch eine Kollektiv
erklärung der anderen Redakteure hervorgerufen, an die sich ziemlich scharfe
Auseinandersetzungen knüpften. Sie wurden in Berliner Parteikreisen lebhaft
besprochen und fanden, als der Parteitag herannahte, einen Niederschlag
in dem nach lebhafter Debatte am 17. September beschlossenen Antrag des
dritten Reichstagswahlkreises, daß die Redaktion des „Vorwärts" zu allen
wichtigen Parteifragen Stellung zu nehmen habe und Artikel einzelner
Redakteure von diesen zu zeichnen seien.
Im Jahre 1897 ist es die Frage der Beteiligung an den
preußischen Landtagswahlen, welche, wie im übrigen Preußen, so
auch in Berlin zum Gegenstand bewegter Auseinandersetzungen wird.
Nachdem Bebel und Auer sich öffentlich für die Beteiligung ausgesprochen
und vielfach Zustimmung gefunden hatten, die sich in Anträgen an den
kommenden Parteitag niederschlug, mußte selbstverständlich auch Berlin
zur Frage Stellung nehmen. Sie wurde in vielen Zusammenkünften dis
kutiert und beschäftigte dann den Parteitag für Berlin und die Provinz
Brandenburg, der am 12. September 1897 in Kellers Festsälen tagte und
von 66 Delegierten besucht war, die 26 Kreise vertraten. Das Referat
über sie hielt Max Schippel, der sich für die Beteiligung aussprach, und