400
Arbeiterpresse besondere Aufmerksamkeit zuteil wird, denn die große
Mehrzahl der Benutzer des Instituts gehören der Arbeiterklasse an. Aber auch
eine nicht geringe Anzahl von Angehörigen anderer Gesellschaftsklassen —
Beamte, Kaufleute, Lehrer, Studierte und Studierende — zählen zu seinen
Benutzern; sie machen zusammen sogar ein Viertel der eingeschriebenen Leser
aus. And es ist nicht wenig, was die am 25. Oktober 1899 nach mehrjähriger
Vorberatung eröffnete „Öffentliche Bibliothek und Lesehalle" darbietet. Die
Bücherei umfaßte im Jahre 1905 gegen 17 000 Bände belehrender und
schöner Literatur, von denen 1455 Bände als Nachschlagebibliothek
aufgestellt waren; die übrigen wurden an Benutzer ausgeliehen, und zwar
ohne Pfand oder Bürgschaft. Diese Bekundung von Vertrauen in die
besseren Eigenschaften der Leser hat sich sehr gut bewährt, es kommt äußerst
selten vor, daß ein ausgeliehenes Buch nicht zurückgegeben wird. Den
Besuchern der Lesehalle standen 529 Zeitungen und Zeitschriften jeder Art
und Richtung, darunter fast alle größeren deutschen Zeitungen von
Bedeutung, zur Verfügung. Schon im Jahre 1900 wurde die „Öffentliche
Bibliothek und Lesehalle" in einer Festschrift der städtischen Behörden über
Volksbibliotheken als das größte und am zweckmäßigsten eingerichtete
Institut dieser Art, das Berlin habe, bezeichnet. Seitdem ist sie aber
noch bedeutend erweitert und vervollkommnet worden. Die ursprünglich
für sie in der Alexandrinenstraße 26 eingerichtete Lokalität erwies sich nach
Ablauf der ersten sechs Jahre schon als zu klein, um den Besuchern der Lese
halle in den Wintermonaten genügend Raum zu geben, und zur Zeit der
Abfassung dieses Buches finden wir das Institut in einem schönen Garten
haus Adalbertstraße 41, das Äugo Äeimann auf einem von ihm für
diesen Zweck erworbenen Grundstück nach wohlüberdachten Plan hat erbauen
lassen und das mit größeren Räumen zugleich bessere Anordnung und Ein
teilung des Ganzen möglich gemacht hat. Auch unter dem ästhetischen
Gesichtspunkt kann diese sozialdemokratische Schöpfung beanspruchen, unter
den Bibliotheken, die für den Gebrauch von Berlins Arbeiterschaft in
Betracht kommen, den ersten Platz einzunehmen.
Die Arbeiter-Radfahrer und -Turner. Die sich als Glied der großen
Arbeiterbewegung fühlenden Radfahrer Berlins, die der Sozialdemokratie
bei Wahlen und für anderes propagandistisches Werk unschätzbare Dienste
leisten, gehörten um 1905 in ihrer großen Mehrheit dem ein Jahr vorher
insLeben getretenenArbeiter-Radfahrerbund „Freiheit" an, eine Minderheit
dem im übrigen Deutschland dominierenden größeren Arbeiter-Radfahrer-
bund „Solidarität". Es sind reine Organisationsfragen, die zur Trennung
führten, beide Verbände huldigen den gleichen sozialen Anschauungen und
verpönen die Auswüchse des Sports. Die sozialistisch fühlenden Arbeiter-
Turner finden wir mit wenigen Ausnahmen im Turnverein Fichte. Von
einer kleinen Gruppe sozialistisch denkender Turner 1890 ins Leben gerufen,
hat es dieser Verein mit Überwindung großer Schwierigkeiten durch unermüd
liche Arbeit bis auf über 2500 Teilnehmer im Jahre 1905 gebracht, nämlich
1285 Erwachsene, 679 Lehrlinge und 533 Schüler. Auch er verpönt das
Sporttreiben und leistet um so mehr in jener Pflege des Körpers, die die Seele
gesund und frisch erhält.