Full text: Die Haftpflicht der Eisenbahn-, Bergbau- und Fabrik-Unternehmer

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Leistungen der bezeichneten Kaffen, schon wegen der den Fa 
briken in sehr ungleichem Maße zur Last fallenden Verun 
glückungen, für dringend geboten. Eine Association gleichar 
tiger Fabrikanstalten zum Zwecke der gegenseitigen Uebertragung 
der Haftpflicht wird dem praktischen Bedürfniß und der Billig 
keit weit mehr entsprechen, als eine Befaffung der oben be 
zeichneten Selbsthilfs-Anstalten mit Haftpflichtleistungen. 
Nach der amtlichen Statistik zählte im Jahre'1869 die 
Industrie, ausschl. Baugewerbe, im Ganzen 515 Verun 
glückte, nämlich 478 männliche und 37 weibliche, und zwar 
verunglückten: durch Maschinen, Treibriemen, Mühlräder rc. 
226 (26 weibl.), durch Explosion von Keffeln und Pulver 
mühlen 88 (weibl. 9), durch Verbrennung, Erstickung, Ver 
brühung, durch Dämpfe, durch Ausströmen von glühendem 
Metall 33, durch Herabsturz von Gerüsten beim Montiren 
von Maschinen rc. 26, gequetscht durch fallende Maschinen- 
theile, Werkzeuge oder sonstige Körper 52, durch verschiedene 
andere Ursachen 90 (weibl. 2). 
Sieht man diese Ursachen der Verunglückung näher an, 
so erfolgt letztere fast ausschließlich beim Maschinen-Betrieb. 
Es liegt deshalb nahe, für Haftpflicht-Verbindlichkeiten und 
deren gegenseitige Uebertragung Vereine zu bilden, ähnlich wie 
sie sich, nach Englands Vorgänge, jetzt auch in Deutschland 
„zur Ueberwachnng von Dampfkesseln" organisiren. 
Dergleichen Vereine bestehen bereits zu Mannheim, Nürnberg, 
Bernburg, München, Hamburg, Breslau, Berlin, und sind 
an andern Orten für größere Kreise schon in der Bildung 
begriffen. Uns scheint es, daß es gar keine passendere Ge 
legenheit, als diese Vereins-Organisation, zur Erledigung der 
Haftpflicht-Verbindlichkeiten geben möchte. Setzten sich die 
einzelnen Vereine in Verbindung in größeren Bezirken, ja 
bildeten sie eine große Vereins-Societät für ganz Deutschland, 
ganz Oesterreich u. s. w., in ähnlicher Weise, wie die Privat- 
Eisenbahnen (s. o. unter Zus. 2), so würden sich die Haft- 
pflichtleistungen zu sehr geringen Beiträgen für die einzelne 
Fabrik verflüchtigen. Das Beitrags-Verhältniß könnte sich 
entweder nach der Maschinenkraft, oder nach der Arbeiterzahl 
reguliren, so daß für je 1 Pf^dekraft oder für je 10 oder 
100 Arbeiter ein bestimmter e# zu zahlen wäre. Die Ver 
waltung wäre bei den einzelnen Vereinen möglichst unent 
geltlich und nur für die Gesammtsocietät ein Central-Organ 
aus Sachverständigen und Jntereffenten zusammenzusetzen, 
denen ihre Auslagen und Mühewaltungen zu vergütigen 
wären. Dabei haftete der Immobilien-, Maschinen- und 
Vorrathswerth der einzelnen Societäts-Mitglieder gleichsam 
als Garantiefondö für die zu leistenden Beiträge, eine Garantie, 
wie sie schwerlich besser zu schaffen wäre. Die Fonds zu den 
laufenden Ausgaben wären durch bestimmte Beiträge im Vor 
aus zu beschaffen, und erst wenn sich deren Jnsnfficienz her 
ausstellte, durch Ausschreibung von Zuschlägen zu ergänzen. 
Behufs Veranlagung der Beiträge wären zu Jahres-Anfang 
oder einem sonst paffenden festen Termine von jeder einzelnen 
Fabrik-Anlage die Angaben über Maschinen- und Arbeits 
kräfte einzuziehen. Selbst wenn man die sämmtlichen in 
Fabriken vorkommenden Verunglückungen als Haftpflicht be 
gründend annähme, — (es wird sich diese in Wirklichkeit kaum 
auf ein Zehntheil der Unfälle nach Maßgabe des Haftpflicht- 
gesetzes erstrecken laffen,) — so würde dennoch bei einer Ver 
eins-Societät, wie wir sie oben andeuteten, der Jahresbeitrag 
der einzelnen Anlage für deren Ertrag kaum in's Gewicht 
fallen, zumal der Beitrag in den Productenpreisen als Pro 
ductions-Aufwand zur Anrechnung und Einziehung käme. 
Nehmen wir an, daß die hier in Rücksicht und Rechnung zu 
nehmende Fabrik en-Haftpflicht sich auf eine Maschinenkraft 
von 100,000 Pferdekräften zu vertheilen hätte, so würde sich 
eine Calculation der Beiträge folgendermaßen anstellen laffen: 
Nach der amtlichen Statistik verunglückten bei der Industrie 
auöschl. Baugewerbe 515 mit 620 Angehörigen. Davon ver 
unglückten tödtlich 294 mit 372 und nicht tödtlich 219 mit 
248 Angehörigen. Nimmt man mit Dr. Engel für die 
Angehörigen der tödtlich Verunglückten den Satz von 1600 
Thlr., für die nicht tödtlich Verunglückten den Satz von 800 
Thlr. an, so würde das Capital, das als höchste Haft- 
pflichtleistung anzunehmen, auf 372 x 1600 Thlr. und 219 
X 800 Thlr., zusammen auf 770,400 Thlr. sich stellen, es 
würde also auf 1 Pferdekraft Fabrikbetrieb ein Jahresbeitrag 
von nur 7, t Thlr. fallen. Und das bei der Annahme, daß 
sämmtliche Verunglückungen Haftpflichtfälle, und daß letztere 
sämmtlich mit Capital abzusinden wären. Die Abfindung 
wird sich jedoch in den meisten Fällen auf Renten stellen, 
so daß von dem 770,400 Thlr. Capital nur ein Prämiensatz 
von etwa 5 Procent, also im Ganzen eine Rente von 38,520 
Thlr. zu leisten wäre, das macht pro Pferdekraft jährlich 
1 1,556 Sgr. Und die wirkliche Haftpflichtleistung wird kaum 
10 Pro ce nt der hier berechneten Sätze erreichen ! — 
Man sieht, daß die Schätzung der Haftpflicht von der 
extrem-socialistischen Agitation gegen die Großindustrie überall 
in'ö Ungeheuere getrieben ist, daß dieselbe wissentlich oder un 
wissentlich in ungeheueren Illusionen befangen war. — 
5. Zu der Faffnng des § 4 wäre noch zu bemerken: 
Der Ausdruck „gegen Unfall versichert" ist nicht streng 
technisch zunehmen; derselbe hat nur die Bedeutung, daß für 
den Verunglückten und die zu Alimentation gegen ihn ge 
setzlich Berechtigten bei einer der genannten Anstalten oder 
Kaffen ähnliche Für- und Vorsorge getroffen sei, wie sie das 
Haftpflichtgesetz (§ 3) in den einzelnen Entschädigungen be 
zeichnet hat, daß also die Anstalten rc. Beerdigungs-, Heilungö-, 
Jnvaliditäts-, Alimenten-Kosten und Ersatz zahlen. Ob der 
Verunglückte oder ein Dritter diese sogen. Versicherung be 
wirkt und bezahlt hat, ist rechtlich gleichgiltig, bis auf das 
Drittel der bezüglichen Gesammtleistung, welche mindestens 
vom Haftpflichtigen getragen sein muß. — 
Der Ausdruck„einzurechnen" ist gleichbedeutend mit „an 
zurechnen," und hat nicht etwa den Sinn, daß das Gesetz 
voraussetze, die Leistungen der fragt. Kassen rc. seien geringer 
anzunehmen, als die ganze Haftpflichtleistung im betreffenden 
Falle. Der Richter kann vielmehr die Perceptionen aus den 
Kaffen rc. als vollen Ersatz der Haftpflichtleistung erkennen, 
ja es steht ihm frei, grundsätzlich für alle Fälle die Kaffen- rc. 
Leistungen für genügend zu erklären, die Haftpflichtleistung 
vollständig zu adsorbirem Bei den Knappschaftövereinen wird, 
so weit es sich um Haftpflicht gegen Arbeiter handelt, die 
Voraussetzung der vollständigen Ausgleichung beider Leistungen 
wohl die Regel bilden. 
Es ist ferner nicht erforderlich, daß die Für- und Vor 
sorge für den Unfall bereits zur Zeit des wirklichen Eintritts 
des letzter» erfolgt sei, vielmehr können die entsprechenden 
Versicherungs-Maßnahmen auch nach Eintritt des Unfalls 
geschehen sein. 
6. Dem Richter steht nach § 7 bezüglich der Höhe des 
Schadensersatzes freies Arbitrium zu. Er kann deshalb die 
in § 4 bezeichneten Bezüge des Ersatzberechtigten auch mit 
Rücksicht darauf, daß letzterer aus eigenem Vermögen oder 
ans andern Vermögens- und Einnahmequellen die Folgen 
des Unfalls tragen könne, sowie jeden anderen Ersatz für ge 
nügend erkennen, die Haftpflicht zu erledigen und den Haft 
pflichtigen von weiteren Leistungen zu befreien. —
	        
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