Full text: Die Berliner Arbeiterbewegung von 1890 bis 1905

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Knechtsgesinnung nennt, vor allem am Herzen lag. Aber nur ausnahms 
weise konnte solche Einheitlichkeit erzielt werden. Denn ein Recht, das man 
reklamierte, nun auch durchzukämpfen, dazu fehlte den Liberalen meist teils 
der Mut und teils der nötige gute Wille. Das zeigte sich schon Mitte 
der achtziger Jahre, als im März 1884 der damalige Oberpräsident Achen 
bach dem Stadtverordnetenvorsteher kurzweg verbot, einen Antrag Singer 
und Genossen, gemäß dem die Stadtverordnetenversammlung bei Reichstag 
und Landtag um zahlengemäße Vertretung Berlins in diesen Körperschaften 
petitionieren sollte, auch nur auf die Tagesordnung zu setzen. Erst ent 
rüstete man sich über diesen Eingriff, beschloß, alle Schritte zu unternehmen, 
rim das Recht der Versammlung zu wahren, und schließlich ging man mit 
der lahmen Erklärung, daß das inzwischen in Kraft getretene Zuständigkeits- 
geseh der Gemeindevertretung das Recht sichere, gegen Beanstandung oder 
Verhinderung von Beschlüssen das Oberverwaltungsgericht anzurufen, über 
den Antrag, die Petition aufs neue auf die Tagesordnung zu setzen, „zur 
Tagesordnung" über. Das heißt, man beließ es faktisch bei dem, was der 
Oberpräsident gewollt hatte und stand freiwillig von dem ab, was man für 
sein Recht erklärt hatte. So ging es auch, als 1898 die Regierung der 
Stadtverordnetenversammlung die Wahl von Paul Singer in die städtische 
Schuldeputation verbot und der Magistrat sich dabei zu der ihm auferlegten 
Rolle als Exekutor des „Staatswillens" hergab, statt ihm als ausführendes 
Organ des Gemeindewillens entgegenzutreten. Erst entrüstete man sich, protestierte 
einmütig und beschloß, da man der Sozialdemokratie das Recht auf eine ihrer 
Stärke entsprechende Vertretung in der Schuldeputation nicht bestreiten mochte, 
keinen Ersatz für Singer zu wählen. Dann aber lehnte man den vom sozial 
fortschrittlichen Abgeordneten Preuß gestellten Antrag ab, dem Nichtwählen 
durch eine ausdrückliche Begründung den Charakter eines Protestes zu geben, 
und als es späterhin aufs neue zur Wahl der Schuldeputation kam, zog man 
es vor, überhaupt gar nicht erst einen Sozialdemokraten zu wählen, „um 
keinen Schlag ins Wasser zu tun". Ebenso kam es zu wenig mehr als 
einem ersten Anlauf von Bürgermut, als 1901 der König der Wahl des Stadt 
rats Kauffmann zum zweiten Bürgermeister kurzweg die Bestätigung ver 
sagte. Erst Wiederwahl Kauffmanns, Beschwerdeversuch, Verzicht auf 
Wahl eines Ersatzes, und dann war's aus. Als am 27. Februar 1902 der 
sozialdemokratische Stadtverordnete Borgmann anregte, die von der Re 
gierung verlangte kommissarische Verwaltung des Bürgermeisterpostens Herrn 
Kauffmann zu übertragen, gaben Zeichen des Unwillens aus der Mehrheit 
ihm zu verstehen, daß ein energischer Kampf ums Recht nicht in ihrer Ab 
sicht lag. Der plötzliche Verzicht Kauffmanns und sein wenige Wochen 
darauf erfolgter Tod verhinderten, daß es zu einem völligen Rückzug der 
Stadtverordnetenmehrheit kam. Aber daß, wenn Kauffmann ihr nicht den 
Gefallen getan hätte, selbst abzutreten, sie auch hier umgefallen wäre, steht 
außer jedem Zweifel. 
Dieselbe Halbheit zeigt die freisinnige Mehrheit in der kommunalen 
Steuerpolitik. Ängstlich, als handle es sich um Tod und Leben, vermeidet 
sie es, die kommunale Zuschlagsrate zur staatlichen Einkommensteuer über 
100 °/o steigen zu lassen, weil für die Überschreitung dieses Satzes die 
Genehmigung der staatlichen Aufsichtsbehörde eingeholt werden müsse und 
dies die Preisgabe des Grundsatzes der Selbstverwaltung der Gemeinde
	        
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