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ablegen, aber als Richter so gut und nicht selten sogar besser als wie die
Richter aus irgendeiner anderen Gesellschaftsklasse erkennen, was unter den
gegebenen Verhältnissen im Rechtsstreit zwischen Unternehmer und Arbeiter
sachlich recht und unrecht ist. Kaum irgendwo in Deutschland begegneten
die Gewerbegerichte in der ersten Zeit ihres Bestehens stärkerer Gegnerschaft
in Anternehmerkreisen als gerade in Berlin. Lier saß die Zentralstelle der
Anternehmerverbände, die in den ersten Jahren mit aller Macht dafür
agitierte, die Gewerbegerichte durch Ausdehnung des Rechts der Berufung
gegen ihre Erkenntnisse an die ordentlichen Gerichte unter Vormundschaft von
Berufsrichtern zu stellen, wenn nicht ganz zu neutralisieren. Es vergingen aber
keine zehn Jahre, da erklärte am 8. März 1901 im Bürgersaale des Berliner
Rathauses eine Versammlung von Beisitzern des Gewerbegerichts Berlin aus
beiden Gruppen, Anternehmerbeisitzer und Arbeiterbeisitzer, und die ersteren
keineswegs nur von Sozialisten gewählte Unternehmer, in einer Resolution,
daß sie in der damals beabsichtigten Angstederung der zu schaffenden Kauf
mannsgerichte an die Amtsgerichte „eine ernste Gefahr für die Interessen derBe-
teiligten" erblicke, und sprach sich „mit aller Entschiedenheit" für den Anschluß
der Kaufmannsgerichte an die Gewerbegerichte aus. Ebenso stimmte das Arteil
bürgerlicher Gewerbegerichtsbeisitzer an den anderen Orten mit dem der
Arbeiterbeisitzer überein; im Reichstag traten Redner der Freisinnigen und
der Zentrumspartei den Sozialisten in der Betonung der Vorzüge der
Gewerbegerichte bei, gleichlautend ertönte es aus den Reihen der Wissen
schaftler, und so ließ man schließlich auch in Regierungskreisen die Idee
der Überlieferung der Kaufmannsgerichte an die Amtsgerichte fallen und
gab den ersteren eine Gestalt, die sie den Gewerbegerichten annäherte, sowie
Paragraphen, welche wenigstens eine Verbindung beider ermöglichten.
War für die Entscheidung der bürgerlichen Gesetzgeber die allgemein
gemachte Erfahrung maßgebend, in bezug auf die ja Berlin hätte eine Aus
nahme bilden können, so liegen bezüglich dieses letzteren sehr bestimmt
lautende Äußerungen des langjährigen Vorsitzenden des Berliner Gewerbe
gerichts, M. ».Schulz, vor, in denen dieser die richterlichen Eigenschaften
der Beisitzer aus der Arbeiterschaft rückhaltlos anerkennt. So heißt es in
einer aus dem Jahre 1900 datierenden Abhandlung des Genannten über
gewerbliche Schiedsverträge:
„Es kommt hier zum Ausdruck dasselbe Mißtrauen gegen Angestellte
als Schiedsrichter, welchem wir bei ihren Vernehmungen als Zeugen so oft
begegnen. Schon wenn sie als Zeugen vorgeschlagen werden, hört man
häufig: „Die arbeiten ja bei dem Kläger oder dem Beklagten; die nehmen
wir nicht an; was die sagen, das gilt nicht; die schwören falsch." Diese
Bedenken gegen die Wahrheitsliebe der Arbeitnehmer sind ebenso ungerecht,
wie die absprechenden Arteile gegen die Qualifikation zum Schiedsrichteramt.
Die Erfahrung bei den Gewerbegerichten lehrt, daß die Arbeitnehmerbeisitzer
wohl ohne Ausnahme — selbst wenn Prozeßsachen ihrer Arbeitgeber zur
Verhandlung stehen — durch ihre Arbeitnehmerposition sich nicht beirren
lassen. Wie wir bereits anderwärts oftmals bemerkt haben, lassen auch die
Arbeitnehmerbeisitzer bei den zu fällenden Arkeilen, so gut wie es eben
Menschen vermögen, auf sich die Klassengegensätze einwirken. Sie
stehen in dieser Beziehung den ordentlichen Richtern nicht nach, welche
gleichfalls bei ihrer Tätigkeit unter den Einfluß ihrer gesellschaftlichen An-