durch Generationen geführte Kontroverse über die Beziehungen
zwischen Individuum und Staat, Freiheit und Regierung, meistens nur
an Äußerlichkeiten haftete und sich auf Worte richtete. Die Geschichte
belehrt uns nicht über jenes angeblich glückliche und freie Individuum,
das tut, was ihm beliebt, lebt wie ihm gefällt, in Besitz nimmt, was
ihm schmeichelt; nur in Hinterwäldern und an dem Saume der Zivili
sation kann ein solches Wesen heimisch sein. Vielmehr streitet die
allgemeine menschliche Erfahrung, hauptsächlich aber das moderne
Leben, gegen eine Auffassung, nach der Freiheit für jemand die Mög
lichkeit bedeuten soll, all das Erwähnte zu sein und zu tun, sofern nur
seine anarchistischen Annehmlichkeiten nicht die anarchistischen
Genüsse der übrigen Genossen beeinträchtigen. Seine volle Kraft und
Stärke kann der menschliche Intellekt nur in einem Gemeinwesen
entfalten, das von einem gemeinsamen Geiste angetrieben wird, der sich
teils durch die als organische Einheit handelnde Gemeinschaft, teils
durch die Gedankenarbeit der auf ihre eigene Entwicklung bedachten
Einzelnen äußert. Das Problem der Freiheit, das heute nach seiner
Lösung drängt, ließe sich etwa so formulieren: Wie kann der Einzelne
ausschließlich mit solchen sozialen Zwangseinrichtungen umgeben
werden, durch die auch ein individueller sozialer Wille freiwillig sein
Spiel begrenzen würde, und wie kann man diese Zwangsmächte in
einem ausführlichen Plane gesellschaftlicher Wirksamkeit systema
tisch gliedern und verbinden? Oder um mit Rousseau zu reden, das
Problem der Freiheit besteht mindestens zum Teile darin, wie der Staat
das Individuum zur Freiheit zwingen kann.
Daß der Staat also nur die Hindernisse zu beseitigen habe, die der
Verwirklichung eines höheren Lebens im Wege stehen, verrät eine
beschränkte Vorstellungsweise von seinem Wesen, die nur eine Seite
seiner sittlichen Nützlichkeit zu würdigen weiß. Der Staat ist nicht
minder verpflichtet, den Weg zum Aufstieg in die Höhen zu bahnen
und edle Bestrebungen, die zu der Benutzung dieses Weges einladen,
zu nähren und anzuspornen. Der Staat erläßt gleichzeitig Befehle
und spendet Hilfe. Die Freiheit im Staate aufrechtzuerhalten, ist
nicht leichter, als sie in der Familie zu sichern. Über welche Mittel
verfügen wir nun als Gemeinschaftsangehörige, auf die Gesell
schaftsordnung so einzuwirken, daß ihr regelndes Schalten und
Walten nicht in die Willkürherrschaft des Kerkermeisters ausarte ?