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Ausblick.
wächst da nicht die Zahl der Verleiher, geht da nicht die Zahl der Borger
zurück, muß da der Zinsfuß nicht fallen, wie der preis sinkt, wenn das
Angebot steigt, die Nachfrage zurückgeht?
Und wenn der Zinsfuß sinkt, und während 5 — 10 — 20 Jahren un
unterbrochen gebaut worden ist, muß da nicht die Wohnungsmiete entsprechend
sinken, muß da nicht der Kapitalertrag (mit Ausnahme der Grundrente)
ganz allgemein zusammen mit dem Zinsfuß fallen? Nehmen wir an, die
Sparkassen böten Geld zu einem niedrigeren Zins an, als die Häuser
und Fabrikanlagen abwerfen — so werden weiter Häuser und Fabriken
gebaut werden.
Und dann kommt der Moment, er muß kommen, wo die Mieten
heruntergehen ebenso wie der Kapitalzkns der Industrie,- wo die Häuser, die
Schiffe, die Eisenbahnen, die Fabriken, die Gasanstalten, die Warenlager
nicht mehr 5°''°, sondern 4—3—2°/o einbringen. Und wem kommt dieser
Rückgang des Kapitalzinses wieder zu gute? Wem anders als dem Arbeiter
der durch seine Ersparnisse den Zinsfuß heruntergedrückt hatte, und der nun
mit höherem Lohne und niedrigerer Wohnungsmiete mehr sparen, den Zins
also noch weiter drücken kann? Der Zins geht herunter, sinkt tiefer und
tiefer, er wird ersäuft in einem Meer von Kapital, in einer parallel mit
dem Rückgang des Zinsfußes wachsenden Überproduktion von Kapital.
Die sogen. Überproduktion an Waren, d. h. die Baisse, der Preis
rückgang ist durch die Reformen in der Währungspolitik zu einer Über
produktion an Kapital umgekippt, und während die Baisse in den preisen
den Warenaustausch unmöglich machte, die Produzenten zur Niederlegung
der Arbeit zwang, zieht die Arbeit aus dem Niedergang des Zinsfußes
immer neue Anregung zu vermehrter Produktion, zu neuen Anläufen, die
den Zins schließlich ganz beseitigen.
Es besteht kein Zweifel: der Zins muß fallen, sobald die Krisen, diese
Mörderinnen der Volkswirtschaft, diese Zcrstörerknnen der Güter, die mehr
verwüsteten als die Hunnen, als die Pest, als die Kirchen, als der Krieg,
unterdrückt, sobald die Arbeitslosigkeit beseitigt und die Masse des Volkes auf
dem Anleihemarkt, vom Standplatz der Borger zu dem der Verleiher übergeht.
Wer aber verleiht Geld, das keinen Zins abwirft? Wie
kommt das von den Sparern dem Verkehr entzogene Geld wieder
kn den Verkehr, wenn dem Sparer kein Zins geboten wird?
Kein Zins, kein Geld. Pas d’argent, pas de Suisses. Ohne Zins kein
Geldumlauf, und ohne Geldumlauf kein Warenaustausch. Keine Arbeits
teilung. Hunger.
Wie heute mancher seine Mittel wenig sicheren Unternehmen zur Verfügung stellt in der
Hoffnung, einen höheren als den Durchschnittszins von 3 1 /2—4V*°/o zu erzielen, so würde auch bei
einem Durchschnittszins von 0°/o mancher gewiß sein Geld hergeben in der Hoffnung, doch einen
positiven Zins zu erzielen. Aber gerade so wie heute die große Masse sich mit dem Durchschnitts-
zkns zufrieden gibt (Vermögensanlage bei Sparkassen, in Pfandbriefen, Konsols usw.), so würde
auch bei 0"/o die große Masse ihr Glück nicht wagen, und eben einfach das Geld, das bare Geld
im Kasten lassen.
Die ganze Zeit der Kapitalsüberproduktkon wäre eine Zeit außerordent
lichen wirtschaftlichen Fortschrittes,- eine Zeit, wie wir sie in den glänzendsten