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elbien von ihm verschont blieb. Auch sehten die Junker es durch, daß die
Benutzung dieser Wasserstraße möglichst verteuert wurde. Der große west
fälische Bergarbeiterstreik des Jahres 1905 hatte eine Novelle zum Preußischen
Berggesetz zur Folge, die den Arbeitern einige Zugeständnisse macht (Verbot
des „Nullens", Arbeiterausschüsse, Zulassung von Vertretern der Arbeiter
bei Begutachtung der Förderung), sonst aber so weit hinter ihren Forderungen
zurückbleibt, daß sie das Verlangen nach einem Reichsberggesetz nur gesteigert
hat. Am den Einfluß der Regierung im Rat der westfälischen Gruben
lords zu stärken, ließ sich Minister Möller vom Landtag gegen 70 Millionen
Mark zum Ankauf von Aktien des Libernia-Anternehmens bewilligen, ver
fuhr in der Sache dabei aber so maßlos ungeschickt, daß er bald darauf
sein Amt niederlegen mußte. Er hatte den Magnaten von Kohle und
Eisen den Pelz waschen wollen, ohne ihn naß zu machen; die aber gaben
ihm zu verstehen, daß er ihnen den Staub wegzublasen habe. Worauf
der lange Möller flog und durch den bisherigen Oberpräsidenten Delbrück
ersetzt wurde. Am dieselbe Zeit bekamen das Ministerium des Innern in
Lerrn von Bethmann Lollweg, das Justizministerium in Lerrn Beseler
und das Landwirtschaftsministerium in Lerrn von Arnim-Kriewen eben
falls neue Vorsteher.
Der neue Reichstag bewilligte als eine seiner ersten Taten Kredite für
die Niederschlagung des in Südwest-Afrika ausgebrochenen Aufstands der
Lerero. Da sich auf Grund der ersten Nachrichten aus dem Aufstand
gebiet nichts Genaues über die Arsachen des Aufstands feststellen ließ,
sondern nur die Tatsache vorlag, daß deutsche Ansiedler und ihre An
gehörigen getötet worden, andere in Lebensgefahr waren, hielt es die
sozialdemokratische Reichstagsfraktion nicht für richtig, die Kredite zu ver
weigern, konnte aber, als Gegnerin des Systems, nach dem die Kolonien ver
waltet und die Eingeborenen auf ihnen behandelt werden, die Mittel auch nicht
bewilligen und übte daher bei der ersten Beratung der Regierungsvorlage
motivierte Stimmenenthaltung. Als später genauere Nachrichten eintrafen,
aus denen hervorging, daß die Lerero durch höchst wucherische Praktiken
von Ländlern und deren Anterstützung durch deutsche Behörden zum Ver
zweiflungskampf getrieben worden waren, da lehnten die Sozialdemokraten
die Mittel für die Kriegsführung ab, indem sie verlangten, daß mit den
Lereros friedlich verhandelt und ihren Beschwerden abgestellt werde. An
dieser ablehnenden Laltung hielten sie auch bei den nachfolgenden Kredit
forderungen für den Krieg in Südwest-Afrika um so mehr fest, als die
Art der Kriegsführung ihren Protest in mehr als einer Linsicht heraus
forderte. Abgesehen von den Verlusten an Menschenleben hat dieser Krieg
dem deutschen Volk weit über 300 Millionen Mark gekostet.
Gesetzgeberisch brachte die Session von 1904 ein Gesetz über die Er
richtung von Kaufmannsgerichten und ein Gesetz über die Ent
schädigung unschuldig Verhafteter. Obwohl die Sozialdemokratie
anerkannte, daß beide Gesetze Forderungen entsprachen, die sie oft erhoben
hatte, und sich alle Mühe gab, ihnen einen wahrhaft fortschrittlichen
Charakter zu geben, mußte sie wegen Ausschluß der Frauen und Ansetzung
viel zu hohen Alters für die Wählbarkeit gegen die Kaufmannsgcrichte und
wegen Einfügung von allerhand Kautschukparagraphen auch gegen das Ent
schädigungsgesetz stimmen.