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ihre bisherige Gestaltung nach den bisherigen Erfahrungen
auch wirklich erreicht worden sei.
Die scharfsinnigste Paragrapheninterpretation, insbe
sondere auch jene vonseiten der in advokatorischer Hinsicht
vielfach hochbegabten madj arischen Staatsrechtler, ist dem
Schicksal der Kartenhäuser ausgesetzt, wenn sie vor oder
sogar statt gründlicher geschichtswissenschaftlicher Ver
tiefung geübt wird. Das Wesen der österreichisch-ungari
schen Monarchie ist nur historisch, aus dem Inhalt des
habsburgischen Majorates Österreich abzuleiten. Ohne
dieses aus der Entstehungsgeschichte der Pragmatischen
Sanktion erfaßt zu haben, hat Andrässy der Ältere doch
wenigstens intuitiv erkannt, daß die Sonderstellung Ungarns,
deren Ursprung offiziell auch er in die Pragmatische Sank
tion zurückverlegte, das Gegenteil von der durch die Prag
matische Sanktion formulierten Unteilbarkeit und Untrenn
barkeit bedeutet h Aber der Mangel an Logik, der angeb
lich schon unter Karl VI. nicht gestört hatte, sollte auch
im Jahre 1867 nicht stören, wenn es nur gelinge, einen
«beruhigenden Zustand» zu schaffen. Es ist im Grunde
juristisch dasselbe, wenn Tezner vierund vierzig Jahre
später sagt, so lange die Pragmatische Sanktion währt, sei
die ungarische Souveränitätsdecke um ein gutes Stück zu
kurz, man möge sie ziehen und richten, wie man wolle 1 2 .
Die Proteste in der madj arischen Literatur gegen diese
« Verdunkelung » der ungarischen Rechte durch einen
« österreichischen » Schriftsteller beweisen zweierlei. Erstens,
daß den madjarischen Verfassern und den nationalmadjarisch
fühlenden Deutschungarn nicht allzuviel daran gelegen ist,
an der Selbsterkenntnis der Menschheit mitzuarbeiten,
und daß es deshalb oft schwer fällt, an die Wissenschaftlich
keit ihres Zieles zu glauben. Zweitens, daß sie die Rege-
1 Könyi, Deak beszedei, Bd. IV, S. 160, 182 ff. — v. Wert
heimer, Graf Julius Andrässy, sein Leben und seine Zeit, Bd. I,
Stuttgart 1910, S. 259. Ein Werk mit reichem Material, das aber
in nationalmadj arischer Tendenz verarbeitet ist.
2 Apponyis Beweise, S. 432.