Full text: Die Berliner Arbeiterbewegung von 1890 bis 1905

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schauungen geraten können. Der Arbeiter, welcher durch das Vertrauen seiner 
Kameraden zum Gewerberichter berufen werden kann und, sobald er gewählt 
ist, seine volle Pflicht tut, ist an und für sich zum Schiedsrichter geeignet." 
Dieser Ausspruch eines Mannes, der mit den sozialdemokratischen 
Bestrebungen durchaus nicht sympathisiert, wäre noch durch viele Zitate 
aus der von Jastrow und Flesch herausgegebenen Zeitschrift „Das 
Gewerbegericht" zu ergänzen, die gleiches aussagen. Aber da es sich hier 
speziell um Berlin handelt, kann es bei ihm sein Bewenden haben. Die 
Arbeiter Berlins, so entschieden sie der Hnternehmerklasse in der sozialen 
Tendenz gegenüberstehen, lassen als Gewerberichter es den einzelnen Unter 
nehmer nicht entgelten, daß sie seine Klassengegner sind. Nicht dadurch, 
daß es parteiisch zugunsten der Arbeiter entscheidet, erweist sich das Ge 
werbegericht als sozialpolitisches Institut dem Arbeiter günstig, sondern 
dadurch, daß es dem sonst unbeschränkten Absolutismus des Unternehmers 
als Nechtsinstanz gegenübersteht, die dem Arbeiter wenigstens die Beob 
achtung dessen sichert, was das Gesetz und die mit der Entwicklung der 
sozialen Zustände sich selbst entwickelnde allgemeine Rechtsanschauung in 
bezug auf den Arbeitsvertrag und das Arbeitsverhältnis für recht und 
billig erklären. In diesem Sinne kann man I. Jastrow zustimmen, wenn 
er in seinem Buch „Sozialpolitik und Verwaltungswissenschaft" schreibt: 
„Das Gewerbegerichtsgesetz ist die iVlagna Charta des deutschen Arbeiters. 
Der Ruf: Ich gehe zum Gewerbegericht! hat hier eine ähnliche Bedeutung, 
wie die Erzählung von dem Müller von Sanssouci und seinem Ausspruch: 
Ja, wenn es kein Kammergericht gäbe!" (a. a. O. S. 405). And M. von 
Schulz schreibt im „Archiv für Sozialwissenschast": „Lierzu kommt, daß der 
Arbeiter im allgemeinen zum Gewerbegericht ein unbedingtes Vertrauen 
gewonnen hat, ein Vertrauen, welches er dem privaten Gericht kaum in 
dem Maße entgegenbringen wird." (a. a. O., Jahrgang 1907, S. 614.) 
Wie sehr der Schluß dieses Satzes zutrifft, zeigen die in neuerer Zeit 
in derArbeiterschaft erhobenen Klagen überden formalistisch-juristischen Geistder 
Gewerbegerichtsbeschlüsse, der mit dem Wechsel in der Person des leitenden 
Gewerberichters zu überwiegen droht. 
Die Arbeiten des Gewerbegerichts Berlin werden durch folgende 
Zusammenstellung veranschaulicht, die das Jahrzehnt vom 1. April 1896 
bis zum 31. März 1906 umfaßt: 
Summe der eingelaufenen Klagen 125 295 
Davon wurden erledigt: 
Absolute 
Zahl 
Vom 
a) Vor dem Termin 
5658 
4,74 
b) Durch Zurücknahme 
26 808 
22,40 
c) Durch Versäumnisurteil 
12 558 
10,49 
d) Durch Verzicht des Klägers .... 
161 
0,14 
e) Durch Anerkenntnis des Verklagten. 
426 
0,36 
k) Durch Vergleich 
60 378 
50,47 
g) Durch andere Endurteile, zumeist im kontra 
diktorischen Verfahren 
13 646 
11,40 
Summa 
119 635 
100 
Es blieben unerledigt und kamen im folgenden 
Jahr zur Verhandlung 5 560 
Zusammen 125 295
	        
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